die ikonische Wahrnehmungstendenz


Die immer neu sich im Gedächtnis abbildenden Impulszusammenhänge ('Layer'), die grundsätzlich als homogenes Kontinuum aufgefasst werden können (siehe ästhetische Wahrnehmungsebene), bestehen aus immer wieder unterschiedlichen, aber auch immer wieder ähnlichen bis gleichen Merkmalen. Diese gleichen Merkmale werden als Konstante wahrgenommen und identifiziert. Ob diese Konstanten allerdings wirklich Konstanten sind, oder ob sie nur der menschlichen Wahrnehmung als solche erscheinen, bleibt fraglich (siehe Beispiele unten). Auch wird die kulturelle Hervorhebung (z.B. in der sozio-parentalen Kommentierung) diese 'Konstanten' in bestimmter Weise anfärben, so dass diese Konstanten durch den gesellschaftlichen Gebrauch als solche markiert sind. Diese identifizierbaren Konstanten können als "cut-outs" beschrieben werden (gleichsam mit der Schere aus einem Stück Papier herausgeschnitten, welches im Bild - die ungegliederte Masse der durch alle Sinne strömenden Informationen darstellt). Diese cut-outs als Gedächtnisinhalte sind in ihrer Struktur nicht identisch mit dem, was sie "abbilden". 

Die Idee des cut-outs steht sicherlich im Widerspruch zu dem, was normalerweise unter 'Ikonizität' verstanden wird. Denn das Ikonische wird verstanden als "richtiges" Abbild einer Realität, man denke nur an solche Bezeichnungen wie "Realismus", "realistisch", "wirklichkeitsgetreu" usw. Das cut-out wird in der zeichenkritischen Theorie als symbolische Identität verstanden, die das Identische des gesellschaftlichen Gebrauchs darstellen soll im Gegensatz zu dem 'in-sich-Identischen' eines Dings. In der zeichenkritischen Theorie wird der begriff des Ikons gebraucht als Synonym für cut-out, also

Am Beispiel "Farbe" soll zunächst der symbolische Gehalt eines 'Ikons' verdeutlicht werden: 

Wir erleben innerhalb eines Impulszusammenhanges von elektromagnetischen Schwingungen, die sich ständig in ihrer energetischen Form verändern ein bestimmtes Mischungsverhältnis dieser Schwingungen als ein bestimmtes "Grün". Sagen wir das Grün von einem Baum. Damit wir Menschen uns in unserer Umwelt orientieren können, ist die Eigenschaft von Körpern (an die wir sonst anstoßen könnten), dass sie elektromagnetische Wellen einer bestimmten Frequenz reflektieren von ganz besonderer Bedeutung. (Absorbierte und transmittierte Frequenzen bergen für die Sinneswahrnehmung diesen Vorteil nicht.) Unser Auge ist nun so auf diese Außenimpulse eingerichtet, dass es den Außenimpuls in einen bestimmten wahrnehmbaren inneren Impuls umwandelt. Dieser innere Impuls wird nun - weiß Gott warum - als z.B. "Grün" erlebt. Unser Gehirn ist also in der Lage, einen bestimmten (für das menschliche Überleben notwendigen) Außenimpuls in eine innere Sprache und damit in eine "Wahr-nehmung" zu übersetzen. Diese Empfindung erleben wir nun jedes Mal, wenn eine bestimmte Wellenlänge unser Auge trifft. Wir sagen dann, "Das Ding ist grün". Damit begehen wir gleich mehrere "Fehler": 1. Wir verwechseln die Fähigkeit eines Körpers, eine äußere Beeinflussung zu reflektieren, also abzustoßen, mit einer existentiellen Qualität dieses Körpers. 2. Wir verwechseln die existentielle Qualität eines Körpers mit der Empfindung, die er in uns auslöst. 3. Wir identifizieren die Empfindung mit einer hypothetischen Eigenschaft dieses Körpers.

Diese Art der Symbolisierung ist sozusagen eine 'biologische' Konvention, Ikone sind aber auch schlicht und einfach gesellschaftliche Symbole. Das Beispiel 'Baum': 

Schon an einigen Stellen in diesem Text habe ich über das Thema Baum geschrieben. Der Baum ist etwas wunderbares, eines der schönsten Phänomene in der Natur. Und natürlich ist er auch nützlich, man kann ihn verheizen, man kann Tische und Stühle aus ihm machen und Häuser bauen. Man kann sich unter ihn legen, wenn die Sonne scheint, und man kann im Herbst seine Früchte ernten. Der Baum besteht aus dem Stamm, den Ästen und den Blättern, vielleicht, wenn wir daran denken, auch aus den Wurzeln. Und wenn zwei Bäume nebeneinander stehen, dann können sie miteinander verwachsen, zumindest ihre Kronen werden eng ineinander sich verflechten. Auch wenn wir den Umriss eines Baumes nie exakt bestimmen werden können, schon nicht wegen des Windes, der ihm ständig eine andere Erscheinung verleiht, ganz zu schweigen von den Jahreszeiten, behaupten wir, dass etwas ein Baum sei. 

In dem Moment, in dem wir einen Gegenstand benennen, hat er gewissermaßen eine Identität, hebt sich heraus aus der Menge der anderen Gegenstände. Wir können dann auch andere Dinge mit diesem Baum machen, die wir natürlich auch sonst hätten machen können, aber wir können es jetzt auch sagen, z.B. auf den Baum klettern, einen Ast absägen, ja, den ganzen Baum absägen, den Wald abholzen, brandroden, das Holz dann bearbeiten, aus dem Abfällen Pressspanplatten machen, usw. All dies kann man deswegen tun, weil der Baum quasi durch den Begriff zum Paket geschnürt wurde, er ist ein handhabbares Ding geworden. 

Interessanterweise 'ist' er natürlich auch noch etwas ganz anderes: Er ist ein Biotop für Tausende von Insekten, Lebewesen, Vögel, er ist Sauerstoffspender, er lebt zusammen mit dem Licht, mit dem Wasser, reinigt die Luft, die wiederum Quelle ist für weitere Organismen, kühlt die Erdoberfläche, bindet den Boden, usw. usw...

Das soll heißen: der Baum ist in seinen "Grenzen" weit mehr, als das was wir sehen, was wir als "Begriff" von ihm haben. Eigentlich ist dieser Baum ein Organ innerhalb eines größeren Organismus, ein Organismus, der eine vollendet auf einander eingespielte Einheit bildet, und bei der jeder unbedarfte Eingriff ein Gleichgewicht aus der Balance bringen kann. Das "sehen" wir nicht. Vielleicht können wir es wissen, wenn wir entsprechende Erfahrungen gemacht haben, aber über unsere Anschauung und die wie Perlen aneinander liegenden Begriffe, die erst der Satz zu einem vollständigen Sinnzusammenhang macht, der quasi die Schnur ist, auf der die Perlen dann aufgereiht werden, gaukelt uns vor, es mit isolierbaren Elementen zu tun  zu haben, die wir wie im Wortspiel in immer neue Zusammenhänge eingliedern können, wie es uns gefällt. Das isolierbare cut-out, das einmal als Vorstellungsbild, einmal als Begriff uns entgegentritt, erscheint als kulturelles Symbol, als konventionelles Zeichen für das, wofür der gesellschaftliche Zweck es gerade braucht.

Noch ein Beispiel: der "Müll". Noch vor 30 Jahren war es völlig selbstverständlich heimlich den ganzen Dreck, den man zu Hause angesammelt hatte, kleine Möbel, kaputte Töpfe, irgendwelche alten Kleider einfach im Wald abzulagern. Ja ganze Autokarkassen wurden im Wald entsorgt. Die besser erzogenen Menschen taten das nicht aber alles, was man nicht brauchte war Müll, und man "schmiss es weg", in den Abfall, und von dort auf die Deponie. Es war die zeit, in der es schon längst verpönt war, die alten Dinge noch einmal daraufhin durchzugehen, ob noch verwertbares daran sein könnte, das^Wirtschaftswunder hatte die Wegwerfgesellschaft eingeläutet, man brauchte keine alten Sachen mehr. Dann kam plötzlich die Idee auf von der Wiederverwertbarkeit von Altmaterialien (in anderen Ländern seit je her selbstverständlich), und man fing an den "Müll" mit neuen Augen zu sehen. Aus der Müllbeseitigung wurde die Abfallwirtschaft, Recycling und gelber Sack wurden erfunden. Es gab plötzlich keinen Müll mehr, es gab jetzt sekundäre Rohstoffe, es gab Wiederverwertung, es gab ganze Industriezweige, die sich dieses Trends annahmen. Wieder sind die Grenzen einer Sache durch den Begriff definiert, und die eigentlichen Zusammenhänge werden nicht gesehen. 

 


zurück