Zum Begriff des Motivs  


Zum Begriff des Motivs muss hier noch etwas angemerkt werden: Unter diesem Begriff muss man sich nicht solche Dinge vorstellen wie "Stillleben" oder "Portrait" oder dergl., sondern der Begriff 'Motiv' ist auf die Wirklichkeitsebenen bezogen: der Künstler kann das Motiv haben eine Landschaft "objektiv" abzubilden wie "eine ästhetisch interessante Flächenaufteilung" zu entwickeln. Im einen Falle wäre dies dann ein Bezug zur O-Ebene, im anderen ein Bezug zur O''-Ebene. Es wird hier also unter dem Motivbegriff etwas verstanden, was die Psychologie als Motiv z.B. für eine Tat beschreibt, denn als das, was normalerweise in der Kunst unter 'Motiv' bezeichnet wird. Hierfür würde ich eher den Begriff "Gegenstandsbereich" vorschlagen.

Es gibt also Motive, die sich besonders auf die O-Ebene, also die Realität hin orientieren, es gibt Motive, die sich besonders auf die eigene Befindlichkeit, oder auch auf die sprachliche Formulierung hin beziehen. Dann gibt es Motive, die sich vor allem darauf beziehen, wie sie "ankommen"; und andere Motive beziehen sich wieder darauf, dass alles seine Richtigkeit hat. Wir finden hier wieder die Wirklichkeitsebenen vor uns und können die Motive auch in Bezug auf diese Wirklichkeitsebenen beschreiben.


Zum Begriff der motivlichen Syntax


Das Motiv kann sich also an den beschriebenen Wirklichkeitsebenen orientieren. Gehe ich von der Realität aus, dann verhalten sich das Motiv bzw. die Motivelemente in einer bestimmten Weise im Vergleich zu dem, wie wir das jeweilige Motiv kennen. Wir können z.B. eine Gruppe von Menschen in einer "richtigen" Abbildung auf einem Bild wiederfinden, wie es z.B. die Fotografie macht, oder in einer "unrealistischen", wie es z.B. bei der mittelalterlichen christlichen Kunst der Fall war, wo die Stifter gegenüber den Heiligengestalten sehr klein dargestellt wurden (Bedeutungsperspektive). Bei einer O-Aussage ist die Frage nach der motivlichen Syntax relativ einfach: Wir erfassen das Motiv in der Weise, dass wir richtige Relationen, richtige Proportionen, richtige räumliche Zuordnungen etc. erwarten und dann entweder diese auf dem Bild wiederfinden oder auch nicht. Werden wir in unseren Erwartungen enttäuscht, dann gibt uns diese Beobachtung möglicherweise einen Schlüssel dafür, ob denn tatsächlich die Realität die gemeinte Aussageebene war, oder vielleicht doch eine andere Aussageebene. Bei dem oben erwähnten Stifterbild könnte es sein, dass wir es mit einer O''''-Aussage zu tun haben, denn die Verkleinerung der Stifterfiguren ist nur auf dem Hintergrund eines bestimmten kulturellen Kontextes zu verstehen. 

Die 'Motivliche Syntax' ist in erster Linie ein Denkkonstrukt. Auf einem Bild gibt es grundsätzlich nur die bildnerische Syntax zu 'sehen'. Von O'' aus betrachtet (und der Tatsache, dass die Formulierung sich eben als Aussageebene auf alle Wirklichkeitsebenen beziehen kann) können wir die Aussageebenen unterscheiden und dabei erkennen, dass die bildnerische Syntax mit der bezeichneten Syntax der jeweiligen Wirklichkeitsebene in einer für das Werk typischen Relation steht.

Die folgenden Überlegungen sollen helfen, ein paar Anhaltspunkte für den Zusammenhang zwischen motivlicher Syntax und Aussageebene zu erlangen.


motivliche Syntax im Zusammenhang der O-Aussage


Wenn das Bild einen O-Aussage Anteil hat (ohne dass dieser dominant zu sein braucht, d.h. also, dass es sich in irgendeiner Form um eine ikonisch gemeinte Abbildung handelt), dann können wir uns an Hand des Bildes vorstellen, wie ein Maler diese Realität vor sich gesehen hat, als er sie malte. Die Art und Weise, wie in der Realität die Dinge zueinander geordnet waren, ist für den Maler zumindest Anhaltspunkt für die Umsetzung in bildnerische Syntax. Wir können also herausfinden, wie möglicherweise die Gegenstände in der Realität in Relation zueinander standen, also räumliche Relationen, vorne hinten, Distanzen, oben unten, etc. 

Interessanterweise hat die Zentralperspektive gegenüber all den anderen Darstellungsformen, die vorher entwickelt worden waren, den einen großen Vorteil, dass räumliche Entfernungen trotz der tatsächlichen Zweidimensionalität des Bildes überzeugend dargestellt werden können. Dies war natürlich für die Maler der Renaissance besonders wichtig, da sie mit ihren Gemälden und vor allem auch den architektonischen Entwürfen so in der Lage waren, den tatsächliche Raum, den die Repräsentationsbauten einnehmen sollten, "wirklichkeitsgetreu" darzustellen.

Es gilt sich nun vorzustellen bei der Überprüfung eines Bildes auf der Basis der O-Aussage, ob diese Zusammenhänge auch "richtig" dargestellt werden nach dem Moto: "Wird mir etwas über tatsächliche Verhältnisse räumlicher oder proportionaler Art oder auch der richtigen Farbigkeit usw. etwas so mitgeteilt, dass ich es mit meinem eigenen Erfahrungsschatz in Einklang bringen kann. Wenn dies der Fall ist, dann handelt es sich zumindest auch um eine O-Aussage.

Ein gutes Hilfsmittel für diese Überprüfung ist es, wenn man sich die Szene von oben betrachtet vorstellt und sich dabei fragt, ob vom Bild her  alles auf eine Draufsicht übertagen werden kann. Man kann davon möglicherweise eine Skizze anzufertigen mit dem Ziel, dass des Künstlers Art und Weise mit der realen Syntax umzugehen (die sich eben als motivliche Syntax auf dem Bild ablesen lässt), Aufschlüsse über dessen Intentionen geben kann. Häufig wird man bald entdecken, dass Ungereimtheiten verbleiben, die auf die mögliche Dominanz anderer Aussageebenen verweisen können.


motivliche Syntax im Zusammenhang der O'-Aussage


Wenn ein Bild wesentliche Anteile einer O' -Aussage aufweist, wird es schwieriger mit dem Begriff 'motivliche Syntax' weiterzuarbeiten. Auch hier kann man sich vorstellen, dass das Unerwartete, das Besondere uns bezüglich dieser Frage weiterhelfen kann. Wenn ein Bild auf der O'-Aussageebene unauffällig ist, dann können wir eher davon ausgehen, dass (zumindest für unsere eigene Rezeption) das Bild diese Aussageebene nicht in den Mittelpunkt stellt. Es ist wie ein Mensch, "der nichts von sich her macht", der im Hintergrund bleibt, sich nicht aufdrängt.

Die Besonderheiten einer subjektiven Position kann der Künstler mit unterschiedlichen Mitteln ins Bild setzen. Besondere räumliche Situationen (z.B. Kinds-Perspektive), können ebenso wie die Darstellung eigenen Leidens oder auch eigener Freuden im Zentrum stehen (Frida Kahlo), die Untersuchung der eigenen Befindlichkeit wie es beim Selbstportrait häufig der Fall ist (Horst Janssen), gehört hier her ebenso wie die Frage, was im Zentrum eines Bildes ist. Gemeint sein können hier subjektive Einstellungen, (beim Film z.B. sehr häufig verwendete Mittel: Perspektiven, Größenrelationen, Bedrohungen, Geschlossenheiten etc.), wie ungewöhnliche Zusammenstellungen von Motivelementen, wie es bei der Collage der Fall ist (Dali z.B.).

Auch hier stehen zweifellos ikonische Elemente im Mittelpunkt der meisten Bilder, bei denen allerdings nicht die Zuordnung untereinander, sondern die Zuordnung zum Betrachter (und dessen Erfahrungswelt)  die wesentlichen Bedeutungsträger sind. Beispiel hier ist sicherlich in besonderer Weise der Surrealismus, mit seinen sehr ikonischen Bildelementen, die aber nicht den Gesetzmäßigkeiten der Realität folgen, sondern den psychischen Vorstellungswelten unterliegen.

Die motivliche Syntax der O'-Aussage folgt dem, was man als 'normales Verhalten' bzw. als besonderes Verhalten auch bei einer Person so sehen würde: gestikuliert beim Gespräch ein Mensch "ganz normal", dann wird es uns nicht auffallen, fängt er aber an "ein Theater zu machen", oder hysterisch hin und her zu laufen, dann würden wir sein Verhalten als seltsam betrachten, wir würden unser Augenmerk auf seine Befindlichkeit lenken, und diese Befindlichkeit würde möglicherweise all das überdecken, was der Mensch sonst noch zum Ausdruck bringen wollte. So ist bei der Untersuchung der bildnerischen Syntax in ganz wesentlicher Weise auch die Wahrnehmungsintention des Rezipienten mit dabei, die Auffälligkeit einer Aussage wird maßgeblich von dem geprägt, was eben dem Betrachter auffällt. 


motivliche Syntax im Zusammenhang der O''-Aussage


Gehen wir wieder von dem aus, was der Betrachter eines Bildes im Sinne der Formulierung als "richtig" als "normal" ansehen würde: unauffällig und vielleicht 'normal' wäre eine Formulierung, die weitgehend ikonische Züge aufweisen würde, wo die Abweichungen zur Realität unauffällig wären durch eine zurückhaltende Komposition, durch einen unaufdringlichen Einsatz der bildnerischen Mittel. 

Auffällig, und damit ins ins Zentrum geratend, wäre die Verwendung der Gestaltungsmöglichkeiten dann, wenn z.B. wie im Expressionismus Farbigkeiten einer ganz anderen Gesetzmäßigkeit folgten, wenn die Komposition solche Akzente setzen würde, wie man sie nicht erwartet hätte, (man denke an Rembrandts "Nachtwache") oder wenn ganz eindeutig Elemente von unkonventionellem Einsatz bildnerischer Techniken das Bild bestimmten. Auch da, wo im Sinne einer O'''-Aussage der Blick auf die eigene Kunstfertigkeit gelenkt werden soll, wird dies erreicht durch eine Akzentuierung der Virtuosität auf der O''-Aussageebene. Dieses Phänomen, welches ich gerne den "Paganini-Effekt" nenne, benutzt z.B. Dali, aber auch solche Leute wie Wunderlich in manchmal fast aufdringlicher Weise. 

Wenn die Technik sich gewissermaßen verselbstständigt, dann kommt es zum Formalismus, ein Bild erscheint dann eitel und leer. Da die 'moderne' Kunst sich häufig auf der O''-Aussageebene bewegt, allerdings mit ganz unterschiedlichen Intentionen, ist die Versuchung für viele (zweitrangige) Künstler groß, sich dem Spiel des Formalismus hinzugeben. Als die sogenannte abstrakte Kunst in den 50er und 60er Jahren eine ihrer Höhepunkte hatte, gab es mehrere Büchlein, die sich über diese Kunstform lustig machten, "Wie male ich abstrakt" hieß ein Titel, und ich vermute, dass selbst ein ungeübter Betrachter diese Leere erfassen kann und solche "Experimentalisten" dann als unverständlich und unnütz einstuft. Ein Nebeneffekt dieses Spiels mit Formalismen hat sicherlich dazu geführt, dass insgesamt die zeitgenössischer Kunst immer mehr eine Sache der Experten und Insider wird.


motivliche Syntax im Zusammenhang der O'''-Aussage


Auch bei der O'''-Aussage hilft erst einmal der Arbeitsbegriff der "Normalität" weiter: Eine Bildaussage erscheint dann als unauffällig, wenn sie den Betrachter zwar anspricht, aber dies nicht mit gewalttätigen Mitteln versucht, sie will dem Betrachter nicht imponieren, sondern ihn für eine Sache einnehmen. 

Diese Mittel können natürlich auch bewusst eingesetzt werden um den Betrachter anzusprechen, um auf ihn einzuwirken. "Zurückhaltung" ist ja auch etwas sehr Angenehmes und man ist dann vielleicht der Aussage gegenüber aufgeschlossen. Gute Werbung geht häufig so vor, und "gute Umgangsformen" sind oft von dieser Unauffälligkeit geprägt, gerade weil sie Wirkung erzielen wollen. Auch wenn sich hinter einem Werk diese Aussagebene versteckt, wird der Betrachter diese kaum wahrnehmen, er wird dann auf andere Aussageebenen gelenkt, die für ihn wesentlicher erscheinen. 

Wenn die Rezeptionsfähigkeit des Betrachters besonders angesprochen wird, durch eine Intensivierung der Reize (Disco) z.B. oder der Zugang über tiefensymbolische Muster, wenn im Sinne von didaktischen Überlegungen versucht wird einem Betrachter etwas "beizubringen" (Powerpoint-Präsentation), wenn die wahrnehmungspsychologischen Grundgesetze (z.B. Gestaltpsychologie) angewandt werden mit wesentlichen Faktoren wie Redundanz, Aufmerksamkeit, Prägnanz, dann wird in den syntaktischen Entscheidungen auf die Bedingungen einer Rezeptionssituation bewusst eingegangen. Die motivliche Syntax kann sich natürlich nur auf der Ebene der Formulierung abspielen, aber man kann die Syntax so strukturieren, dass sie ganz besonders der Rezeptionssituation angepasst ist. 

motivliche Syntax im Zusammenhang der O''''-Aussage


O'''' als die Wirklichkeitsebene des kulturellen Netzes (in der Regel affirmativ) wird sich als Aussageebene in der Bezugnahme auf dieses Netz präsentieren. Auch hier haben wir es mit dem "Normalfall" zu tun, dass die bildnerische Syntax die aktuellen kulturellen Standards "bedient", dass sie in der Anwendung der Gestaltungsmittel so vorgeht, wie man es aus der jeweiligen kulturellen Situation heraus als "normal" ansehen würde. 

Es kommt dann allerdings ganz auf das jeweilige kulturelle Netz an, in dem sich eine künstlerische Arbeit positioniert, von einem anderen Netz kann dies schon wieder ganz anders aussehen. Das, was in einem Punkkonzert als normal angesehen wird, ist in einer bürgerlichen Umgebung ein Schocker. Im Bereich der Mode und Bekleidung kann man dieses ganz gut darstellen: Die Syntax der Kleidungsstücke wird bei der Punkkultur durcheinandergebracht: das Unterhemd wird über das Hemd gezogen, wobei selbstverständlich auch die Löcher und die sonstigen Accessoires genau und liebevoll ausgesucht sind. Ganz wie in der bürgerlichen Kleiderordnung, die dennoch die "Norm" darstellt.

Die Einhaltung der Etikette, der Form, der guten Manieren ist ein Hinweis auf diese Aussageebene, sie wird einem kaum auffallen, da sie eben das der jeweiligen Gesellschaft angemessene Ausdrucksritual repräsentiert. Auffällig wird es dann, wenn durch syntaktische Entscheidungen "Sehgewohnheiten" verletzt werden, wenn wie z.B. im Manierismus bestimmte Formzusammenhänge überbetont werden, wenn wie im Rokoko bestimmte Elemente sich verselbstständigen, wenn z.B. die Syntax des Faltenwurfes anfängt, die ganze menschliche Figur zu erdrücken. Auf der reinen O''''-Ebene können wir es hier auch mit formalistischen Ausdruckselementen zu tun haben, wenn man mehr z.B. das Happening als kulturelle "Schockform" sieht, und man diese bewusst als solche wahrnimmt, sind wir bereits im Bereich von O'''''. 

Insgesamt können wir aus dieser Untersuchung ableiten, dass die Erscheinungsweise der syntaktischen Entscheidungen im Sinne von auffallend - unauffällig uns Hinweise darauf geben kann, wie wichtig dem Künstler die jeweilige Aussageebene selbst war. Die notwendige Einschränkung allerdings: unsere eigene Rezeptionstätigkeit, unsere Rezeptionsintention ist entscheidend an dieser Einschätzung beteiligt. Nur eine bewusste Reflektion der eigenen Rezeptionsintention, und den damit zusammenhängenden selbstkritischen Überlegungen (eigener kultureller Standort, eigene Vorlieben, eigenes O') kann uns dem näher bringen, was der Künstler tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte.