4. Form

Backform aus der tschechischen Republik

 

Beschreibung des Tatbestands:

Jede Spur hat etwas am vorhergehenden Zustand des Trägermaterials verändert, diese Änderung ist wahrnehmbar und identifizierbar. Jede Spur ergibt somit eine identifizierbare Form. In dem Begriff der "Formulierung" ist enthalten, dass alles Formulierte eine Form hat. "Ein Strich", "ein Fleck", auch ein Punkt sind grundlegende Elemente der Form. Form ist dabei das Zusammenspiel von unterschiedlichen Proportionen dieser Elemente. Aus diesen und aus den damit verbundenen Kontrastanwendungen ergibt sich letztlich alles, was wir dann als bestimmtes Bild erkennen können. "Form" ist eine Kategorie der ikonischen Darstellungstendenz, die Form ist ein Erkennungsmerkmal einer Identität. 

Form ist in unserer Lebenspraxis ein entscheidendes Prinzip. Man formt das Brot zum täglichen Leben, Der Schnitt für die Kleidung, das Modell für das Haus, (aber auch das Haus selbst..) die Gussform. Die Persönlichkeit, die sich formt. Das gesellschaftliche Zusammenwirken braucht eine bestimmte Form. Die eigene Form, oder auch die Fassung  zu verlieren ist ein traumatischer Moment. Psychische Zustände im Zusammenhang mit Drogen oder mit Nervenkrankheiten führen zu Entgrenzungen, die vielleicht interessant sind, die aber immer wieder zurückgeführt werden müssen in die Form, die einen hält, oder es kommt zum Verlust der Identität.

Auf dem Bild sucht man nach erkennbaren Formen, ganz selbstverständlich braucht man die Form um sich im Inhalt orientieren zu können. Formlosigkeit ist Beliebigkeit, ist Spiel mit dem Nichts.

4.1. Punkt

zwei Punkte und Attraktoren

Beschreibung des Tatbestands:

Die Spur kann realisiert werden als Punkt oder als eine Vielzahl von Punkten. Der Punkt ist in seiner Dimension tendenziell nicht ausgedehnt. (tatsächlich hat der Punkt immer eine Ausdehnung). Allerdings kann der Punkt auch nur auf einer Fläche, dem Format, erscheinen, also ist er notwendigerweise gleich wieder zu dieser in Beziehung gesetzt. Der Punkt verweist auf sich selbst, ist in sich selbst geschlossen, durch die Bezüge zur "Umwelt" hat er aber alle Möglichkeit der Beziehung in sich. Er kann sich in alle Richtungen entwickeln, er kann zur Linie, zur Fläche werden, kann Farbe annehmen, (Der Punkt selbst kann nie farbig sein, da Farbe immer als Fläche erscheint). 

Zwei Punkte bilden zusammen bereits eine Beziehung, nur die Qualität dieser Beziehung ist noch nicht dargestellt (konkretisiert). Zwei Punkte sind immer zueinander in Relation, und sind in Relation zur sie umgebenden Fläche. Da allerdings diese Fläche bereits eine klare Dominanz auf das Geschehen ausübt, ist die Attraktivität dieser Punkte zueinander noch nicht eindeutig. Möglich ist auch bei einer sehr deutlichen Randaffinität, dass dann der Rand zum größeren Attraktor wird als die Punkte zueinander. Allerdings brauche ich nur die Punkte mit einer Linie zu verbinden, dann sind die Verhältnisse wieder klar.

Der Punkt ist der dialektische Pol zur Weite des Raumes und seinen Spannungsbeziehungen. Der Punkt ist das Abstraktum der Fixierung (Stecknadel), aber auch das Symbol der Begrenzung eines Sinnzusammenhangs (Interpunktion), Der Punkt bezieht sich immer auf sich selbst , er hat keine nach außen sich öffnende Dimension. 

Der Punkt auf einem Bild ist immer ein Element, welches eine besondere Attraktivität aufweist. Es zieht den Blick auf sich lässt aber auch den Blick auf den Betrachter zu, er ist der abstrakte Antipode zur eigenen Position. 

4.2. Linie

eine Linie und ihre Dynamik

Beschreibung des Tatbestands:

Die Linie ist erst zuallererst die Verbindung von verschiedenen Punkten. Allerdings nimmt hier die Eigenschaft der Punkte - als autonome Elemente - sehr schnell ein Ende, denn die Linie lässt die Punkte schnell vergessen. Materiell gesehen ist die Linie eine Anzahl von materiellen Spur-Elementen, hat also eindeutig Punktstruktur. In Verbindung mit Trägermaterial und Werkzeug trägt jede Linie (deutlicher als der Punkt) Zeichen des Eingriffs. Die materielle Beschaffenheit des Trägermaterials und des Gestaltungsmaterials sind durch das Werkzeug aufeinander bezogen. Die mechanische Kraft des Eingriffs, die Dauer des Eingriffs und der geistige Entschluss dessen, der den Eingriff vornimmt (und der damit auch das Werkzeug gestaltet oder ausgewählt hat), sind die konstituierenden Elemente der Spur. 

Die Linie erscheint als Formelement, welches einen Punkt A mit einem Punkt B verbindet. Die Qualität dieser Linie kann dabei ganz unterschiedlich sein: sie kann durchgehend, oder unterbrochen, sie kann dick, dünn, an- oder abschwellend, verwischt, klar, spurbetont oder auch ausdrucksneutral sein. Linien können zusammenwirken in ihrer Vervielfachung, als Schraffur, als Linienbündelung, und in der Perspektive als Fluchtlinien in Erscheinung treten. Linien erscheinen aber auch als imaginäre Verbindung von Punkten, die nur im Auge produziert werden ("Kompositionslinien", Verbindungslinien aller Art, z.B. bei Überschneidungen). Die Linie kann aufgefasst werden als der Ausdruck eines in Bewegung gesetzten Punktes, hier kommt dann besonders der Spurcharakter zum Vorschein, der die Dynamik des Gestus des Zeichners zum Ausdruck bringt. Dabei verbindet sich in besonderer Weise der Spur- mit dem Liniencharakter.

Anfang und Ende, der Weg, leben und sterben, die Möglichkeit der Materie sich miteinander in Beziehung zu setzen und dadurch neue Qualitäten (Reihen) zu ermöglichen, ist in der Linie abgebildet. (Die Chromosomenketten sind ein gutes Beispiel dafür, - "Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied"). Äquivalent zu den existentiellen Abstrakta ist die Linie insofern, als sie die Tatsache repräsentiert, dass jede menschliche Aktivität sich von einem Punkt zu einem anderen hinbewegt. Diese Bewegung kann ebenso räumlich sein wie zeitlich. Damit kann die Entwicklung einer Sache als Linie aufgefasst werden, wie es z.B. bei Graphen und Schaubildern der Fall ist. Linien als Verbindung zweier Punkte als Straßennetz, als Weg zwischen A und B, der räumlich in Form des Weges existiert und zeitlich im Abschreiten dieses Weges.

Linien kommen dann vor als alle möglichen Arten von Grenzen, darunter z.B. die "Uferlinie", als 'natürliche Grenze' oder die Begrenzungslinie von aneinanderstoßenden Grundstücken (die Erfindung der Geometrie im alten Ägypten), als kulturelle Grenzziehung. Man sieht: man kann eine bestimmte Linie verfolgen, der "rote Faden" zieht sich durch eine Sache, alles ist wie auf einer Schnur aufgereiht...

Wenn man ein Bild betrachtet, dann bildet das Auge Verbindungslinien zwischen den einzelnen Elementen, Kompositionslinien, die es gar nicht auf dem Bild gibt, wir verlängern Linien und Richtungen, wenn z.B. auf dem Bild ikonisch eine Bewegung dargestellt ist, auf dem Bildformat sehen wir Diagonalen, Waagrechte und Senkrechte, die dem Bild Proportion verleihen.

4.3. Fläche

Fläche in der Fläche

Beschreibung des Tatbestands:

Die ideelle Linie ist die Grenze zwischen zwei Flächen (Schnitt). Die Fläche hat zum ersten Mal eine wahrnehmbare Dimension, der Punkt war die Keimzelle für alle weiteren Entwicklungen, die Linie zeigt eine Richtung dieser Entwicklung auf, die durch die Linie (oder Spur) veränderte Oberfläche des Trägermaterials entwickelt sich zu beiden Seiten der Linie als mögliche Fläche. Durch Verdichtung der Spur, durch immer aufs neue sich überlagernde Linien entsteht eine Fläche als Spurverdichtung. Mit dem Pinsel oder einem entsprechenden Werkzeug wird sofort eine Fläche aufgetragen als Spur, und die Linie entsteht als Begrenzung der Fläche. 

Wir erleben als existentielle Konstante Fläche als Oberflächen in allen möglichen Arten. Oberflächen machen einen wesentlichen Teil dessen aus, was wir überhaupt sehen. Wir erleben Fläche als den Boden auf dem wir uns bewegen, und als "Himmelszelt" unter dem wir leben. 

Die Wahrnehmungsphysiologie ist dafür maßgebend, wann wir eine Linie noch als Linie bzw. wann wir sie als Fläche erleben. In Wirklichkeit ist jede "Linie", wenn sie kein Schnitt ist, eine Fläche. Als Fläche erleben wir sie immer in Beziehung zu einer anderen Fläche (und sei es der "Hintergrund"), als Linie erleben wir sie als Begrenzung. Genauso wie zwei Punkte eine gedachte Linie ergeben können, so können zwei Linien eine gedachte Fläche ergeben. Der entstehende Raum zwischen zwei Begrenzungen kann als Einheit, als "Gestalt" aufgefasst werden, je nachdem wohin die Linie "angezogen" wird (Attraktor). Es entsteht dadurch die "Figur", im Gegensatz zu dem "Nicht-Gemeinten" des Grundes.... 

Figur und Grund

Durch Verdichtung der Linien entsteht immer klarer eine Fläche, die Verbindungen, die erst noch geistig gezogen werden müssen, werden materialisiert. Auch hier ist das entscheidende Element der Punkt. Er ist materialisiert im "Pigment". 

4.4. Umriss

Picasso, Auschnitt, aus den Skizzenbüchern

Beschreibung des Tatbestands:

Jede Fläche grenzt sich ab von einer anderen Fläche. Die Grenze zwischen zwei Flächen muss sichtbar sein, sonst erscheint es wie eine Fläche. Um die Grenze sichtbar zu machen zeichnet man eine Linie oder man setzt Farbflächen nebeneinander. Die Linie, die eine Fläche begrenzt ist der Umriss. Wenn man von einer Kontur spricht, dann meint man eine Grenzlinie, die bereits ein eigenes bildnerisches Element ist. Umrisse können klar, hart sein, können auch verlaufen, verfließen.

Grenzziehungen bestimmen in starkem Masse das Leben des Menschen. Die eigene Haut als Grenze zum Außen, die "eigenen vier Wände", die Stadt-, Gebiets- und Landesgrenze, der "eiserne Vorhang". Immaterielle Grenzen sind z.B. die Schamgrenze, die Schmerzgrenze, die Sprachgrenze etc. Die Grenze ist dort, wo eine unterscheidbare Identität an eine andere grenzt. Grenzen sind wichtige Orientierungslinien für unser Leben. 

Grenzen sind auch Übergänge. Und Übergänge können abrupt, können auch sehr schroff sein. Das langsame Dunklerwerden in der Dämmerung kennen Stadtmenschen schon kaum noch, da man sofort das Licht anmacht. Früher hatte man Stuckdecken, die den modifizierten Übergang von der Senkrechten der Wand in die Waagrechte der Decke betonte. Ein Baum kommt häufig nicht abrupt als senkrechter Stamm aus dem waagrechten Boden.

Die Grenze als Umrisslinie ist zur Identifizierung von Elementen auf einem Bild äußerst wichtig. Umrisse zeigen uns ikonische Elemente, aber auch geometrische, wie z.B. der Kreis, das Rechteck usw. Die Art der Übergänge erleben wir als hart oder weich, als Verlauf oder als scharfen Schnitt. 

weitere Überlegungen

4.5. Figur Grund

Detail, Perserteppich

Beschreibung des Tatbestandes: 

Wenn die Linie wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückführt, dann entsteht eine "Figur", als ein geschlossenes Formgebilde. Der Charakter der Linie wird dann erst einmal überlagert durch den Charakter der Figur, häufig in deren motivlichen Erscheinungsform (z.B. "Portraitzeichnung"). Der Charakter der Linie behält dabei jedoch seine Qualität, auch wenn er sich anderen bildnerischen Variablen unterordnet. (Matisse, Picasso, auch Horst Janssen sind in diesem Sinne Meister der Linie.) Linien können als Grenzen zwischen Bildbereichen gesetzt werden, auch dann dominiert häufig der Figur-Charakter. Z.B.: die Horizontlinie in der Perspektivischen Darstellung.

Die bildnerische Variable Grund-Figur hat folgenden abstrakten "Hintergrund": Der Boden auf dem wir stehen, bzw. der, den wir um uns herum wahrnehmen, Der Grund, vor dem ein Mensch, bzw. ein Ding erscheint. Seine Erziehung, sein sozialer Hintergrund, auf dem wir die Figur (also die Person auf der O-Ebene) erst richtig erfassen können (indexalisch).

Die Figur im Bild ist gleichbedeutend mit dem Subjekt aber auch dem Objekt in einem Satz. Der Grund im Bild hat eine oftmals kaum wahrnehmbare Spannung und stellt dabei die Figuren in einen spezifischen Bezug zueinander. Die Interaktion der Figur wird zum großen Teil über die Grundverhältnisse ausgedrückt. Der Grund kann selbstverständlich auch als figurativer "Hintergrund" in Erscheinung treten. (Da ja die Abstrakta sowieso in irgendeiner Weise konkretisiert werden müssen. - eben auch ikonisch). 


5. Dichte

Francis Bacon, Detail, Studie

Beschreibung des Tatbestandes:

Die auf die Fläche gesetzten Spuren können verschieden eng beieinander (oder übereinander) stehen. Unter Dichte wird nicht das Merkmal der Enge beschrieben, sondern eher im physikalischen Sinne der Aggregatzustand. Also geringe Dichte und starke Dichte, offen und geschlossen. Wir sprechen von "Verdichtung", um damit auszusagen, dass einzelne Elemente zueinander so zu stehen kommen, dass ihre individuelle Form gegenüber der sich dadurch neu bildenden Form zurücktritt. Aus dem Einzelnen wird Masse. Dichte führt zur Fläche (und unterliegt dann den Kontrastgesetzen). Ebenso sprechen wir von Öffnung, wenn die einzelnen Elemente so locker zu einander stehen, dass man den Eindruck von Raum und Offenheit gewinnt. Bei der Zeichnung kommt es häufig zu Linienbündelungen im Kontrast zu Feldern, wo die Linien sehr sparsam eingesetzt werden, bei der Malerei kommt es zu reliefartigen Formen, die durch dicke Farbspuren hervorgerufen werden. Hier führt Verdichtung zu realisierten oder zu ideellen Knotenpunkten. Das Kleinteilige gegenüber dem Großzügigen kann ebenso Dichte vermitteln wie die Intensität der Bearbeitung oder des malerisch/farblichen Ausdrucks. Auch über motivliche Elemente kann es selbstverständlich zu "Dichte" kommen. 

Erfahrungsbereiche im Zusammenhang mit Verdichtungen: Atmosphäre; Menschenmassen, Fußballstadion, Einkaufsamstag (das waren noch Zeiten als es den langen Samstag gab...); Aggregatszustand fest, flüssig, gasförmig; Undurchdringlichkeit - Urwald, Lichtung; jemand ist "dicht", offen; der Dichter; die Dichtung - (in zweierlei Bedeutung...); Knoten, Knäuel; Verknüllen von Papier. Dichte und locker gewebte Stoffe.

Über die bildnerische Variable Dichte erfahren wir auf dem Bild Konzentrationspunkte und Zentren, "Wichtiges" wird markiert, Wir werden in das Bild hineingezogen und die Blicke werden gelenkt. Dichte kann auch sehr stark berühren, die Öffnungen ebenso wie die Verdichtungen, hier spielt Tiefensymbolik eine wesentliche Rolle. Im kunstgeschichtlichen Vokabular wird Dichte für den gesamten Ausdruckswert eines Kunstwerkes verwendet, gleichzeitig auch für die Komplexität der bildnerischen Struktur.

Struktur

Van Gogh, Ausschnitt, Selbstportrait

Beschreibung des Tatbestandes: 

Die Struktur ist das Aufbausgesetz, mit Hilfe dessen bildnerische Elemente zusammen "gebaut" werden (Gestalt). Diese Struktur wird zur Invarianten und kann so wiedererkannt werden. (Damit ist die Struktur, also der wiedererkennbare Aufbau der Gesamtform, aber auch der Detailform, das Element, das uns der eigenen Notwendigkeit der Wiedererkennbarkeit von Elementen möglich macht/annähert. Der Strukturbegriff kann auf unterschiedliche Elemente angewandt werden: Mit Hilfe des Strukturbegriffes kann man stilistische Unterscheidungen treffen (Strukturforschung) sowohl historisch als auch individuell oder national und landschaftlich. Paul Klee fasst den Strukturbegriff ("strukturale Formung") als Reihung, Variation, Rhythmisierung, Verschiebung von wiedererkennbaren Grundelementen der Bildgestaltung auf. 

Materiell zugrunde liegt der Struktur ein bestimmtes Mischungsverhältnis von Aussageintention und daraus sich ergebenden syntaktischen Grundentscheidungen. Diese Grundentscheidungen müssen sich in einem Zusammenspiel der bildnerischen Variablen, insbesondere der Spur und der Form, letztlich in einer spezifischen Weise des Umgangs mit allen bildnerischen Variablen äußern. 

Als existentielle Konstante erleben wir Struktur im alltäglichen Leben als Tagesrhythmus mit den entsprechenden damit verbundenen Tätigkeiten, wenn wir "aufräumen", als Ordnung, als "stilvolle" Lebensweise. Kulturen geben Strukturen vor (z.B. Gebetszeiten), Strukturen sind wichtige Elemente der Stadt und Landschaftsplanung, der Kommunikation ("Kommunikationsstruktur") und der gesamten gesellschaftlichen Ordnung. 

Insoweit ist Struktur auch als übergeordnete Kategorie aufzufassen, da sie die anderen bildnerischen Variablen in sich vereinigen kann. Sie ist in dieser Weise Synonym für "Darstellungsintention", und den daraus resultierenden Folgerungen für die gestalterischen Entscheidungen. Als bildnerische Variable fasse ich Struktur als die spezifische Verdichtungsform von Form und Spurelementen auf, die in ihrem spezifischen "Miteinander" so etwas wie den Statik aber auch die "Bausteine" des Bildes zum Ausdruck bringen. Man kann das am ehesten mit der Architektur in Zusammenhang bringen (Der Begriff 'Struktur' kommt auch von lat. struere "bauen"). Beim Bildausschnitt von Van Gogh ist das strukturale Merkmal die immerfort nebeneinandergesetzten Pinselstriche, die im Gesicht von innen nach außen sich entwickeln und den Kopf konzentrisch einfassen. 

Textur

Holbein, Auschnitt

Beschreibung des Tatbestandes: 

Im Gegensatz zu Struktur ist Textur eher etwas Konventionelles. Es ist die mechanische Reproduktion bestimmter standardisierter Elemente, sei es, um damit ungegenständliche "Muster" zu erzeugen, sei es um ikonische Elemente zu symbolisieren, wie 'Dachpfannen' oder 'Wasserwellen', wie wir sie von "naiven" Zeichnungen her kennen. In einigen Auffassungen (z.B. Pawlik) wird Textur dargestellt als die Oberflächenbeschaffenheit des Bildes, ich möchte hier einen Unterschied machen zwischen Textur und Oberfläche. 

Textur als existentielle Konstante ist uns vertraut vom "erfassen" von Stoffqualitäten. Erscheinungsweisen von Webarten, von Papiersorten ("handgeschöpft; Raufaser" etc.) Holzmaserungen etc. sind die Beispiele, die deutlich machen, welche Qualität "Textur" hat. Beim Baum sind die Jahresringe ein Strukturmerkmal, die Maserung ist die Textur, die bearbeitete Form mit Schliff und Versiegelung und den damit zusammenhängenden Lichtreflexionen ist die "Oberfläche".  

Texturale Qualitäten auf einem Bild verstärken den ikonischen Gesamteindruck und lassen auch den Laien vor der Meisterschaft des Künstlers in die Knie gehen. 

Oberfläche

"Oberflächen" gibt es nur im Original

Beschreibung des Tatbestandes: 

Die texturalen Eigenschaften der Oberfläche zeigen sich in der Möglichkeit, wie sich bestimmte Strukturen an der Oberfläche sichtbar machen können. Die Oberflächenbehandlung kann die Struktur des Materials verschleiern. (Politur) aber auch sichtbar machen. Die unterschiedlichen Techniken haben ihre spezifische Oberflächencharakteristika. Grundsätzlich gilt, dass die Oberfläche etwas ist, was nur als Wahrnehmungs- bzw. Rezeptionsqualität in Erscheinung tritt. Im Gegensatz zu Struktur und Textur ist es nichts "Gemachtes" sondern ist ein in Erscheinung treten einer strukturalen Qualität, die man lediglich als Künstler durch den Einsatz adäquater Mittel zur Geltung bringen kann. Da Oberfläche aber dennoch eine selbstverständliche, jedem Material zukommende Qualität ist, wird sie als bildnerische Variable hier aufgeführt.

Oberflächen hängen ab von vielfachen Außeneinflüssen wie Licht, Feuchtigkeit, Trockenheit etc. Wir erleben Oberflächen als ständig wechselnd, haben allerdings auch eine Oberflächenwahrnehmung über die Haut. Der Tastsinn, der auf Oberflächen geradezu spezialisiert ist, erkennt in den Oberflächen eher das Charakteristische. So ergänzen sich Auge und Tastsinn in der Unterscheidung und Zuordnung von Oberflächen.

Das Bild ist in seiner Erscheinungsweise eher statisch, deswegen sind bei der Oberfläche auch eher die unveränderlichen Merkmale ins Spiel zu setzen. Man hängt ein Bild - wenn immer es geht - in das gleiche Licht, "leuchtet es aus", damit die Erscheinungsweise möglichst von Zufälligkeiten unabhängig ist. Das optisch-ästhetische Spiel unterschiedlicher Oberflächenerscheinungen soll gar nicht inszeniert werden, so dass man fast daraus schließen kann, die Oberfläche eines Bildes habe eine synästhetische Verknüpfung mit dem Tastsinn. 


6. Proportion

Proportionsstudien aus einem Zeichenkurs

Beschreibung des Tatbestandes: 

Proportion nennt man das bestimmte Verhältnis von Teilen untereinander und zum Ganzen. Insbesondere geht es um Größen und Abstände bei Köpfen, menschlichen Figuren, Tieren und Dingformen. Im Mittelalter arbeiten die Künstler nach Musterbüchern, die bestimmte Proportionsschemata festhalten. Das bekannteste Musterbuch ist das de Villard de Honnecourt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. In der Renaissance versucht man, ideale Verhältnisse aus den natürlichen abzuleiten. So forschen Alberti, Leonardo und besonders auch Dürer nach Gesetzmäßigkeiten. Der goldene Schnitt (stetige Teilung) ist für Künstler aller Epochen ein wesentlicher Maßstab für die ästhetisch wirksame Aufteilung von Bildzusammenhängen und des Formats. Proportionslehren sind immer der Sprachsymbolik innerhalb eines kulturellen Netzes zuzuordnen, insofern unterliegen sie den jeweiligen ästhetischen Maßstäben einer Kulturepoche.

Die Baukunst ist besonders geprägt durch eine "Bestimmung durch Maß und Zahl. Die Arbeitsweise nach geometrischen Grundfiguren ist die ursprüngliche, nicht die arithmetische. Von der ägyptischen Zeit an bis über das Mittelalter hinaus war es üblich, die Baumaße aus den Teilungen eines Grundkreises zu nehmen. ..." (Pawlik)

Im Begriff der Proportion steckt bereits eine Idee der "guten" oder "richtigen" Proportion. Diese Idee ist kulturell begründet in den unterschiedlichen Versuchen seit der Antike ideale Proportionen, insbesondere der menschlichen Gestalt, zu entwickeln. Aus der Geometrie und aus der Musik kommen bestimmte Gesetzmäßigkeiten der Proportionalität, von denen aus man annahm und annimmt, dass hinter den Proportionen bestimmte Weltgesetze verborgen sind. Auch die molekularen Eigenschaften insbesondere von Kristallen führen zu solchen Vermutungen. In der Biologie gibt es ebenfalls solche proportionalen Gesetzmäßigkeiten, wie z.B. bei Getreidepflanzen, bei denen sich die Blattentwicklung am Stamm nach dem goldnen Schnitt orientiert. 

Proportionserfassung ist für die Gestaltwahrnehmung das eigentliche Kernstück: z.B. sind die höchst differenzierten Unterschiede des menschlichen Kopfes nur über Proportion zu erfassen. das kann man daran sehen, dass auch schwarz-weiß Fotografien den Menschen eindeutig erkennbar machen, selbst eine Umrisszeichnung (Profil) kann äußerst signifikant sein. Je mehr die Proportion dem "Kanon" sich entzieht, umso "eigenwilliger" und unverwechselbarer wird der Kopf. So kann man auch den Wunsch nach den "Idealmaßen" als den Versuch verstehen, sich mehr der Gruppe, bzw. den gesellschaftlichen Vorstellungen anzuvertrauen, als der eigenen Identität. Es gibt noch weit mehr wichtige Beispiele dafür, wie Proportion sich als existentielle Konstante erweist. 

Insofern ist es verständlich, dass man in einem Bild und dessen Proportionen eine Unmenge an Elementen finden kann, die einen mit der eigenen Vorstellungswelt verbindet. Proportionen geben Aufschluss über Harmonie und Disharmonie, über Spannung und Ruhe, über Ausgewogenheit und Unausgewogenheit, über Eintracht und Konflikt. 

Rhythmus

Arbeit aus der Akademiezeit des Autors

Beschreibung des Tatbestandes: 

Rhythmus ist zuerst eine zeitliche Gliederung. Rhythmus kommt sicherlich primär aus dem Bereich der Musik. Dort kann man ohne Rhythmus nicht arbeiten und gestalten. Da das Auge ein Bild auch in einem zeitlichen Prozess abtastet, kommt es auch hier zu Wahrnehmungsrhythmen, die der Zeit unterliegen. Der Blick "wandert" auf dem Bild. In der Musik ist der Rhythmus eher etwas Gleichbleibendes, man muss den "Rhythmus halten" können, "der Takt macht die Musik". Ein gleichbleibender Rhythmus im Bild wäre eher langweilig, unter einer rhythmisierten Fläche versteht man eine Gliederung, die die einzelnen Distanzen und Proportionen in immer wieder neue und interessante Verhältnisse bringt. Um einen Rhythmus darzustellen braucht es das wiederkehrende Element - auch dieses in Variation -, jedoch können diese Elemente ganz ungegenständlich sein, z.B. als Gliederung von senkrechten Linien, wie im obigen Beispiel. 

In unserer menschlichen Erfahrung ist gleichmäßiger Rhythmus mit Ruhe verbindbar, wenn man "Herzklopfen" bekommt ist dies ein Anzeichen für Aufregung - Spannung oder auch Angst und Unruhe. Die Herzrhythmusstörung ist immer mit Beunruhigung verbunden. Neben dem Herzschlag gibt es den Atem, die gleichmäßigen Schritte beim Wandern, gibt es den Rhythmus von Tag und Nacht und den der Jahreszeiten. Die Feste des Jahres, die Wochentage, der "Sabbat", sind mit den natürlichen Gegebenheiten verknüpfte Rhythmisierungen des Lebens. Die dem Bild entsprechende "variable" Rhythmisierung kennen wir vom Moment der Spannung her.

Offenbar ist bei Bildern ein "spannender Rhythmus" eher gefragt als ein "ruhiger". und hier schließt sich der Kreis zur Proportion: wie man den Körper, das Gesicht auf Grund der spannungsvollen Rhythmisierungen her identifizieren kann, so ist es auch hier. Das Identische erkennt man an einer unverwechselbaren Proportion, ist das Identische eben ein Bild, dann ist das Bild in seinen Proportionen beim "Abwandern" als ein immer wieder aufs neue spannender und auch wiedererkennbarer Rhythmus zu erleben.