Semiotik ist die allgemeine Lehre von den Zeichen bzw. den Zeichengestalten. Sie untersucht nicht die konkreten Zeichen einer bestimmten Sprache. Zeichen sind materielle Gebilde (Schriftzeichen, Schallwellen usw.), die über sich hinausweisen auf etwas, das sie bezeichnen. 

Unter Zeichengestalt versteht man die Gruppe (Abstraktionsklasse) aller untereinander inhaltsgleichen Zeichen. Beispiel: E e E e, alle vier Zeichen haben die Zeichengestalt 'e'. oder: 

       
alle vier Zeichen haben die Farbbezeichnung 'blau'.

Die Semiotik untersucht weiter das Verhältnis zwischen Zeichenzusammenhang und Rezipient. Die Relation Zeichenzusammenhang - Produzent wird in der Regel nur peripher untersucht, da hier unüberprüfbare Zusammenhänge bestehen. Dennoch ist die semiotische Methode, wie sie in den 70er Jahren für die Kunstbetrachtung  entwickelt wurde, insbesondere auch der Versuch, zumindest als Ideologiekritik die Intentionalität des Senders zu benennen. 

Die Semiotik geht vom Zeichen aus, als dem einfachsten bedeutungstragenden Element innerhalb eines sprachlichen Zusammenhanges. 

Um dies untersuchen zu können benennt die Semiotik vier (oder drei) Dimensionen des Zeichens, die untersucht werden müssen, um zu einem Bild der Aussage zu gelangen:

Die erste Dimension des Zeichenzusammenhanges ist die Syntax. Die Syntax untersucht die Relation der Zeichen untereinander. 

eine weitere Dimension untersucht die Relation Zeichen - Bezeichnetes, oder auch in welchem Zusammenhang das Zeichen zu dem bezeichneten Gegenstand oder Sachverhalt steht.

Eine dritte Dimension untersucht die Relation Zeichen - Bedeutung, also die offenen und versteckten Bedeutungen, die der Empfänger mit einer Nachricht verknüpft.

die vierte Dimension untersucht die Relation Zeichen - gesellschaftlicher Zweck. Darunter sind auch historisch sich verändernde Zwecke zu verstehen, bis hin zur Rolle des Künstlers in einer Gesellschaft und der Autonomie von Kunst.


Geschichtliches


Seit Aristoteles begegnet man einzelnen semiotischen Untersuchungen bei verschiedenen Denkern innerhalb der Geschichte der Philosophie. 

Eine der Grundlagen der Semiotik ist die von Ferdinand de Saussure im Rahmen seiner Linguistik entworfene Idee einer  Semiologie, worunter er eine Wissenschaft verstand, „welche das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht”. Ausgangspunkt hierbei war de Saussures zweigliedriges, ausschließlich an der menschlichen Sprache ausgerichtetes Zeichenmodell, das einem bezeichnenden Laut- oder Schriftbild (Signifikant) einen „Vorstellungsinhalt”, das Bezeichnete (Signifikat), zuordnete. Die Verbindung beider ist willkürlich (arbiträr), aber durch gesellschaftliche Konventionen für jeden Sprachträger verbindlich. Individuelle Interpretationen von Signifikanten werden somit ausgeschlossen. 

De Saussures Auffassung prägte vor allem den französischen Strukturalismus. So untersuchte Roland Barthes anhand des linguistischen Modells die „Sprache” der Mode und den „Diskurs” der Großstadt, Claude Lévi-Strauss beleuchtete die Struktur von Mythen, und Jacques Lacan nutzte de Saussures Gedanken für seine psychoanalytischen Studien.

Wichtiger für die Entwicklung einer eigenständigen Semiotik war die weniger eng gefasste triadische Zeichendefinition von Charles Sanders Peirce. Peirce definierte ein Zeichen als „etwas, das für jemanden in gewisser Hinsicht für etwas steht”. Das Zeichen  provoziert etwas außer ihm stehendes – den Interpretanten – dazu, es in einer bestimmten Weise aus-, und auf das, wofür es steht (das Objekt) hinzudeuten (Denotation). Dabei ist der Interpretant nicht mit dem Interpreten identisch, sondern muss vom Interpreten, in dessen Bewusstsein es entsteht (Konnotation), seinerseits wieder gedeutet werden: Eine quasi unendliche Semiose entsteht. 

Umberto Eco, der Peirces Ansatz unter Zuhilfenahme de Saussures zur Kulturtheorie einer „allgemeinen Semiotik” auszubauen suchte, versteht den Interpretanten als weiteres Zeichen, welches sich auf das Ausgangszeichen bezieht: Jedes Konnotat zieht ein Denotat nach sich, das wiederum als Konnotat eines weiteren Denotats fungiert (siehe Denotation). Bei Eco ist die Semiose offen: Es genügt, dass etwas als signifikanter Bedeutungsträger erkannt wird: Dem Interpreten bleibt es – unabhängig von der ursprünglichen Intention – überlassen, ihn in diesem oder jenem Sinn zu deuten. Strukturalismus und Hermeneutik berühren sich. Auch Roland Barthes spricht in seinen späten Schriften vom „Spiel der Signifikanten” und löst sich damit vom sozialen Ansatz de Saussures.

Im weitesten Sinn wurde der Forschungsgegenstand in der Zeitschrift für Semiotik 1979 definiert: „Die Semiotik untersucht als Wissenschaft von den Zeichenprozessen alle Arten von Kommunikation und Informationsaustausch zwischen Menschen, zwischen nichtmenschlichen Organismen und innerhalb von Organismen. Sie umfasst also zumindest teilweise die Gegenstandsbereiche der meisten Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Biologie und Medizin. Umberto Eco hingegen will den Bereich der Semiotik, wie schon die Prager Schule, allein auf die menschliche Kommunikation (Semiotik der Architektur, Semiotik des Films, Semiotik der Literatur etc.) beschränken und so einen Großteil der Kybernetik und Informationstheorie ausgeschlossen wissen. 

(Quellen: Microsoft Encarta 2002; J. Michael Matthaei, Grundfragen des Grafik-Design, 1988; Klaus/Buhr, "Philosophisches Wörterbuch" 1975; )

Biografische Notiz: Semiotik als Alternative zu Kunstgeschichte


Zeichen und Signal


Ein Signal im Sinne der Zeichentheorie ist ein physikalischer Impuls, der als solcher deutlich wahrnehmbar und unterscheidbar ist, dem aber weder eine Bezeichnung noch eine Bedeutung beigemessen werden kann. Bezeichnung wäre hier, den Verursacher des Signals oder dessen Zustandekommen zu identifizieren, Bedeutung wäre zu erfassen, in welchem symbolischen Zusammenhang das Signal zu den Lebensumständen des Rezipienten steht. 

Das "Signal" im Eisenbahnwesen ist zeichentheoretisch ein Zeichen.

Dagegen ist ein Zeichen ein physikalisches Ereignis, dessen Bezeichnung bzw. dessen Bedeutung geklärt ist, oder zumindest im un- oder vorbewussten Bereich eine Bedeutung besitzt. Normalerweise sind Zeichen quasi "lexikalisch" erfassbar ("Denotation") oder aber über "Konnotationen" mit individuellen oder auch tiefenpsychologischen Strukturen bedeutungsvoll verbunden. 

Bezeichnen können diese Zeichen 'ästhetische' und 'gestische' Wahrnehmungsinhalte, sie können einen situativen Kontext bezeichnen, oder sie können im Sinne der Auffassung von Abstraktheit der Zeichenkritischen Theorie existentielle Konstante bezeichnen (z.B.: 'Verlauf', 'groß', 'rot'...) Solche Bezeichnungen können selbst wieder zu Bedeutungen umgedeutet werden, wenn bestimmten Bezeichnungen Bedeutungen zugeordnet werden (z.B.: groß = dem Herrscher zugeordnet)

In dem Spruch "Es geschehen Zeichen und Wunder" ist der Begriff "Zeichen" eher als ein Signal zu verstehen, da dieses "Zeichen eben nicht allgemein deutbar ist. ("Menetekel"). 

Zeichen lesen zu können ist eine hohe Kunst, die häufig auch als Geheimwissenschaft gehandelt wird. ("Orakel", Spurenlesen, Wetterregeln, ..)

Im Zusammenhang der Zeichenkritischen Theorie wird unterschieden zwischen Anzeichen und Zeichen, wobei Anzeichen alle natürlichen (möglicherweise auch übersinnlichen) Vorgänge bezeichnet, die Bedeutung für den Menschen haben, Der Begriff des Zeichens ist streng auf zwischenmenschliche Kommunikationsstrukturen begrenzt.


Gegenstand der Syntax


Syntax, Lage, Komposition

'Syntax' kommt aus dem griechischen und bedeutet "Zusammenstellung". Die Untersuchung der Syntax besteht darin, die Zusammenhänge der Einzelzeichen und Zeichengruppen untereinander zu klären. Die Zeichen selbst werden nicht in ihrer jeweiligen individuellen Bedeutung erfasst (z.B.: drei 'Vasen'), sondern es werden vielmehr die elementaren Bestandteile, das ihnen bei aller Verschiedenheit Gemeinsame ermittelt und systematisch erfasst (Flächen, Linien, Umrisse, Farbe etc.). 

Untersucht werden dazu die Bedingungen, dass aus Zeichengruppen 'Superzeichen' werden , also die grammatikalischen oder auch psychologischen Regeln, die dieser Transformation zugrunde liegen. (Wann wird aus drei Linien ein 'Tisch'.) 

Voraussetzung dafür, im Bildzusammenhang die Syntax zu bestimmen ist erst einmal die Lage der einzelnen Zeichen und Zeichengruppen auf dem Bild zu bestimmen. Das Bild ist also ein übergeordnetes Zeichensystem, zu dem erst einmal die Einzelzeichen hin bezogen werden müssen, ehe die Relation der Zeichen zueinander geklärt werden kann. 

das Zeichensystem 'Bild' wird im Rahmen der bildnerischen Variablen näher bestimmt werden. 

Im Falle eines Kunstwerkes tritt an die Stelle der Syntax die 'Komposition'. dieses Wort kommt aus dem lateinischen und bedeutet nichts anderes als Syntax. Allerdings unterliegt eine Komposition im allgemeinen bereits bestimmten kulturellen Regeln, die im Rahmen von Kunstgeschichte tradiert werden. 

Im Rahmen der Zeichenkritischen Theorie wird die Zuordnung kompositorischer Zusammenhänge zu den Darstellungstendenzen geklärt.


Gegenstand der Sigmatik


Der Gegenstand der Sigmatik ist die Untersuchung der Relation Zeichen - Bezeichnetes. Das "Bezeichnete" kann verschiedenen Klassen angehören: Es kann sich um Objekte der Realität  handeln, es können Relationen zwischen diesen Objekten, es können interne Vorstellungen und kulturelle Phänomene bezeichnet werden. Die Bezeichnung hat immer den Charakter einer Beschreibung, die möglichst unter Ausschluss jeglicher Wertung, Deutung, Interpretation, als Analogon für die beschriebene Sache steht. Die Diagnose eines Arztes ist eine Bezeichnung, was dies dann für den Patienten bedeutet, ist etwas gänzlich anderes. Man unterscheidet in der Sigmatik drei (oder vier) unterschiedliche Zeichenarten: das Ikon, den Index und das Symbol.


Zeichenarten

Die Art der Beschreibung ist je nach dem Bezeichneten unterschiedlich: Es gibt die Möglichkeit das Bezeichnete quasi zu verdoppeln, zumindest bestimmte Eigenschaften sozusagen zu kopieren wie z.B. den Umriss eines Objektes als Zeichnung abzubilden, dann handelt es sich bei der Zeichenrelation um ein Ikon, oder ein ikonisches Zeichen. Im sprachlich-akustischen Bereich gibt es ikonische Zeichen in Form von lautmalenden, onomatopöischen 'Worten' wie z.B. 'Kuckuck'. Im japanischen werden akustische oder taktile Eindrücke mit äußerster Genauigkeit wiedergegeben. Die japanische Sprache verfügt über eine unermessliche Anzahl onomatopöischer Ausdrücke und Wörter für die feinsten akustischen und taktilen Nuancen; so gibt es z. B. verschiedene Wörter für das Geklapper von Hufen bzw. das Geklapper von Schuhen mit Holzsohlen und zahlreiche Wörter für verschiedene Regengeräusche und für Regen, der auf verschiedene Oberflächen trifft. 

Das ikonische Zeichen repräsentiert den Gegenstand und nicht die Wertung, die diesem Gegenstand beigemessen wird. Das ikonische Zeichen existiert zeit- und räumlich unabhängig vom bezeichneten Objekt. Deswegen kann auch ein Plan (Architektur) ein ikonisches Zeichen sein. 

Der Grad der "Ähnlichkeit" mit dem Bezeichneten ist Gegenstand der Zuordnung je nach dem zum "Ikonizitätsgrad" bzw. "Abstraktionsgrad". 


Eine grundsätzlich andere Art der Relation besteht beim indexalischen Zeichen. Das Lachen, das Weinen, auch der Angstschrei bezeichnet einen inneren Zustand, ganz unabhängig von der dann möglichen Bedeutung dieser Äußerung. Der Finger, der in eine Richtung weist, eben auch der Wegweiser, die Sonnenuhr, der Wetterhahn, all dies sind indexalische Zeichen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie nur in direktem, ursächlichem Zusammenhang mit dem Bezeichneten ein Zeichen sind. Ist dieser Kontext nicht mehr da, dann kann man das Zeichen als solches zwar noch erkennen, aber es hat keine (oder eine andere) Funktion. Wenn jemand lacht bei einem guten Witz ist das völlig 'normal', ein völlig unbegründetes Lachen ist dagegen eher seltsam, vielleicht pathologisch... (zu deuten). Auch das Dokument und die Dokumentation sind indexalische Zeichen, der Personalausweis, Der Film über die Kriegsgräuel im Irak. Welchen Bedeutungen diese Zeichenzusammenhänge dann zugeordnet werden ist dann eine andere Frage. 

Das indexalische Zeichen ist zeit- und räumlich gebunden an das  bezeichnete Objekt. ("Anzeichen - s.o. - haben immer indexalischen Charakter.)

Das Indexalische weist den Aspekt auf, dass man um den bezeichneten Gegenstand wissen muss, dass die Stadt, auf die der Wegweiser hindeutet noch nicht zu sehen ist, dass der Schatten von der Sonne abhängig ist, dass ein Bild auch auf seinen Entstehungszusammenhang verweist. Das Indexalische ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kontext gewusst werden muss. Dieses Wissen hat seine besondere Qualität als Erfahrungswissen. ("Heiße Herdplatte").


Symbole sind konventionelle Zeichen, sie unterliegen einer Absprache. Sie sind nicht veranlasst durch das Bezeichnete. Sie unterliegen jedoch der Absprache. Ohne diese Absprache wären die Zeichen nicht lesbar. Sie repräsentieren also ein gemeinschaftliches Gedankengut, gemeinschaftliche Konzepte der am Kommunikationsprozess Beteiligten. Da also Symbole keine konkreten Gegenstände oder Situationen bezeichnen, können sie für alle gesellschaftlich notwendigen Kommunikationsakte gebildet und verwendet werden. 


Warum ist aus der Sicht der ZKT die Sigmatik eine eigenständige Dimension?

Das "O-Modell" der Zeichenkritischen Theorie geht von dem Gedanken aus, dass eine vorfindliche Realität (O) in Wahrnehmung, Bewusstsein und Handeln immer neue "Übersetzungsstufen" erfährt. O' als erste Übersetzungsstufe, die Wahrnehmung und Bewusstsein zum Inhalt hat, ist ohne die Realität nicht denkbar, ist aber von der Realität unterschieden. 'Bedeutung' als Gegenstand semantischer Überlegungen ist mit Sicherheit eine Dimension, die dem O' zuzuordnen ist. 'Bezeichnung' ist auch nicht denkbar ohne Wahrnehmung und Bewusstsein, ist aber in seiner Richtung auf die Realität hin bezogen. Nach dem 'Aussagemodell' handelt es sich bei der Frage nach der Semantik um eine O'-Aussage, bei der nach der Sigmatik um eine O-Aussage. 


Besondere Fragestellungen

Es gibt noch in der Literatur die Annahme von "abstrakten Zeichen". darunter fallen z.B. die Zahlen. Dabei ist das konkrete Zeichen (z.B. '100' oder 'C') sicherlich ein Symbol, aber das Bezeichnete unterliegt keiner Definition, wie z.B. 'Freiheit' oder 'Dorf'. 

Die Fragestellung der Sigmatik und der verschiedenen Zeichenarten war der Ansatzpunkt die Zeichenkritische Theorie zu entwickeln. Die Unterscheidung in Zeichenarten war zu ungenau. Es gibt bei Zeichen immer Anteile aller Zeichenarten. Ein Verkehrschild ist ein Symbol, da es der Konvention bedarf, dass es als Zeichen verstanden wird (Fahrschule), und es ist ein indexalisches Zeichen, da es nur in Zusammenhang mit einem Kontext als Zeichen erfahren werden kann. Ein Ikon ist dieses Zeichen, da es auf sich selbst referiert, es muss von seiner Gestalt her wiedererkannt werden können, auch wenn es z.B. verrostet, verbeult, klein oder groß, oder sonst wie verschieden ist. Ich habe also ab diesem Moment nicht mehr von Zeichenarten, sondern von Zeichenaspekten gesprochen. 

Dazu kam dann die Idee der Mischungsverhältnisse: Jedes Zeichen besteht aus einem spezifischen Mischungsverhältnis der unterschiedlichen Zeichenaspekte. 

Dann kam es zu weiteren Fragestellungen: Was für ein Zeichenaspekt ist z.B. die Farbe 'grün' als Gesichtsfarbe in einem expressionistischen Bild? Sicherlich kein Ikon, sicherlich auch kein Index, sicherlich auch kein (konventionelles) Symbol. Es kam so zur Ausdifferenzierung des symbolischen Zeichenaspekts in Sprachsymbolik, Individualsymbolik und Tiefensymbolik. Individualsymbolik als die Welt individueller Symbole, denen keine Konvention zugrunde liegt dafür aber  eine individuelle Zuweisung. (Erinnerungsstücke, 'Eigenarten' der Persönlichkeit etc.); Sprachsymbolik als der Bereich der konventionellen Bedeutungszuweisung, und Tiefensymbolik als der Bereich unterbewusster Symbolik wie er in Träumen sich darstellt, in psychischen Phantasmen (Paranoia), in möglicherweise archetypischen Wünschen und Vorstellungen. Nach dieser Auffächerung in bereits fünf Zeichenaspekte kam noch der ästhetische Zeichenaspekt hinzu (wobei sich 'ästhetisch' unterscheidet von dem umgangsprachlichen Gebrauch dieses Begriffes), der die direkte Relation des Zeichens zur Wahrnehmung selbst bezeichnet. Es gibt viele Bilder, insbesondere in der ungegenständlichen Malerei, die ausschließlich dafür bestimmt sind, wahrgenommen zu werden. Op-Art ist kein Ikon, ist kein Symbol, ist kein Index, da das, auf was der Zeichenzusammenhang verweist nicht abgebildet wird, auch nicht einer symbolisierenden Bestimmung unterliegt und es kein Kontextwissen bedarf, um dieses Werk zu erleben. Für die bildende Kunst wurde der ästhetische Zeichenaspekt als der grundlegende Zeichenaspekt definiert. Zum ästhetischen Zeichenaspekt kam dann noch der gestische Zeichenaspekt, als Relation Zeichen - zeichensetzende Handlung (Gestus, Duktus, Spur) und ganz besonders der abstrakte Zeichenaspekt, der neben dem ästhetischen eine besondere Funktion hat. Er bezeichnet die Relation Zeichen - existentielle Konstante. Dies wird in besonderen Abschnitten näher dargestellt.


Gegenstand der Semantik


Die Semantik untersucht die Dimension der Bedeutung. D.h. sie untersucht die Relation  Zeichen - Bedeutung des Zeichens. Bedeutung ist die Interpretation oder Deutung eines Zeichens im Zusammenhang mit Wertung, Interpretation oder Funktion, die der repräsentierte Sachverhalt für das Leben des Einzelnen oder oder Gemeinschaft hat. (z.B. "Gold").

Die Bedeutung eines Zeichens kann auf verschiedene Weise zustande kommen:

Durch Konvention: Ein Sachverhalt, der im Zusammenleben der Menschen eine Rolle spielt, wird durch ein Wort repräsentiert. Dieses Wort ist beliebig, muss aber in der Gemeinschaft durch Übereinkunft gelernt und dann eindeutig verwendet werden. Dieses Symbol ist dann lexikalisch erfassbar und genau definiert (sprachsymbolische Denotation), z.B. "Baum".

Durch Repräsentation: Das Zeichen wird in seinem Ikonizitätsgrad/Abstraktionsgrad so bestimmt, dass die Merkmale, die für den Gebrauch, die Funktion, die Wertung des Gegenstandes/Sachverhaltes wichtig sind, als Repräsentation für den Gegenstand als Ganzes dienen (Synekdoche - pars pro toto). Das Zeichen erscheint dann wie ein Abbild des Repräsentierten, die Eigenschaften, die weggelassen werden, werden nicht registriert. (ikonische Denotation).

Durch Assoziation: Ein Sachverhalt, der durch eine bestimmte Erfahrung mit einer bestimmten Qualität gekoppelt wird. z.B.: Achterbahn fahren + es wird einem schlecht = Achterbahn = schlecht. (individuelle Konnotation)

Durch tiefensymbolische Kopplung: Auf Grund tiefensymbolischer Prägungen kann ein Zeichen einen Zusammenhang erhalten, der unbewusst, und nur affektiv-emotional erfahrbar ist. Ekel, Abscheu, aber auch Vorlieben, rituelle Handlungen, Sympathien und Antipathien, Erwartungshaltungen, Phantasmen, all dies kann mit einem Zeichen gekoppelt sein. Ausdruck tiefensymbolischer Kopplung sind Anmutungen, Empfindungen, Gefühle. Diese sind nicht benennbar, nicht auf einen Ursprung zurückzuführen, sie sind häufig nur sehr schwer verbalisierbar. Zeichen dieser Art sind ganz besonders bei visuellen und olfaktorischen (Geruchssinn) Zeichen zu erleben, denn diese Sinnesempfindungen sind bereits im sehr frühen Kindheitsstadium aktiv; (tiefensymbolische Konnotation).


Denotation und Konnotation

Wie bereits im Text dargestellt gibt es jeweils zwei Arten von Denotationen und Konnotationen. 

Denotationen sind allgemeine zugängliche Zeichendefinitionen, sei es durch Abstraktion wie beim ikonischen Zeichen, sei es durch Konvention und Definition wie beim sprachsymbolischen Zeichen. Definieren heißt "begrenzen", es wird also um den Begriff sozusagen eine Demarkationslinie gelegt, die diesen Begriff von anderen Begriffen unterscheidet. Dieser "Bedeutungshof" ist keine Konstante, durch geschichtliche Prozesse, durch soziale Voraussetzungen, durch unterschiedliche Kontexte kann der Hof stark verändert werden. Bestimmte Begriff könne auch mehrfach belegt sein, so dass erst der Kontext die gemeinte Zuordnung ergibt. Im Lexikon kann man nachlesen, wie Begriffe zu verstehen sind.

Ikonische Denotationen scheinen ohne diese Definition auszukommen, "weil man  ja sieht, was gemeint ist", aber man denke an die Exerzitien, wenn Mutter mit dem Bilderbuch in der Hand, das Kind auf dem Schoss dem Kind die Worte und Bilder erklärt. Bei ikonischen Zeichen geht das "Definieren" im Sinne der Abstraktion vonstatten, die für die Sprachform, aber auch für die gesellschaftliche Funktion des Ikons wichtig ist. Das Ikon im bildnerischen Bereich ist vorwiegend durch Umriss und Proportion bestimmt. Masse, Gewicht, Material, Volumen u.a. Eigenschaften des Objektes, sind entweder gar nicht erfasst durch das ikonische Zeichen oder nur sehr peripher. Die ikonische Denotation ist nur in bestimmten Sprachformen möglich wie z.B. Bild, Bildhauerei, Pantomime, Theater, Geräusche und Stimmen bei Tonaufzeichnungen, sehr eingeschränkt möglich ist sie in der Musik ("Programmmusik"), und der gesprochenen Sprache ("Onomatopöie"), in der geschriebenen Sprache ist sie gar nicht vorhanden.  

Konnotationen sind individueller oder tiefensymbolischer Art: Sie bezeichnen nicht nur den Sachverhalt sondern auch noch Qualitäten, die diesem Sachverhalt zugeordnet werden. Die Konnotation kommt immer zu der Denotation hinzu. Sie kann sich auch hinter der Denotation "verstecken". 

Assoziationen sind bewusste oder vorbewusste Erinnerungen, Phantasien, Vorstellungen, "Träume", und gehören im Bereich des menschlichen Bewusstseins mit zu den ausgeprägtesten Denkvorgängen. Weite Areale der Großhirnrinde sind mit den assoziativen Vorgängen beschäftigt. Dazu gehören auch solche Funktionen wie sich in einem komplexen , Raumzusammenhang erleben, Bewegungs- und Zeitplanung und vieles mehr. Alle diese Vorgänge erfordern ein Aufrufen gespeicherter Erfahrungen, die häufig nicht mehr sicher darin zu unterscheiden sind, ob sie der selbst gemachten Erfahrungen entspringen, oder ob sie durch Fremderfahrungen angeeignet wurden. 

Tiefensymbolische Kopplungen entstehen durch Primärerfahrungen, die im Moment dieser Erfahrung keiner bereits gemachten Erfahrung zugeordnet werden können. Bestimmte Erlebnisse hat man im Leben immer zum ersten Mal, manche (wie z.B. geboren werden) hat man nur ein einziges Mal. Die erste Erfahrung, oder eben die Primärerfahrung,  findet nicht isoliert statt, sondern sie ist immer eingebunden in einen komplexen situativen Kontext. Die Qualität dieses Kontextes hat viel mit der weiteren Verarbeitung und Speicherung dieser Primärerfahrung zu tun. Vertrauen und Sicherheit, Unsicherheit und Schrecken, Stress oder Ruhe sind Faktoren, die diese erste Erfahrung mit etwas stark anfärben können. Je häufiger einer Primärerfahrung weitere Erfahrungen mit dieser Sache (in jeweils unterschiedlichen Kontexten) folgen, desto mehr überlagert die ikonische Denotation (Wiedererkennen individuelle Merkmale) die tiefensymbolische Kopplung, der miterlebte Kontext verliert immer mehr an Bedeutung. Ein Ding wie 'Löffel' ist so endlos erfahren worden, dass es sich völlig aus jedem tatsächlich erfahrenen Kontext lösen kann und nur noch das allgemeine dieses Kontextes ("essen") beibehält. 


Weitere Überlegungen

Mit dem Instrumentarium der Zeichenkritischen Theorie kann man das Feld der Bedeutungen auf die symbolischen Tendenzen einschließlich der ikonischen beschränken. Denotation gehört dann zur Sprachsymbolik und zur Ikonizität, Konnotation zur Individual- und Tiefensymbolik. 

Doch hat die Konventionalität von Symbolen, besonders auch im visuellen Bereich, auch noch "Anker" zu anderen Tendenzen, insbesondere zu Indexalität und zum Abstrakten. Metaphern z.B. haben Anker zum Indexalischen ("Du bist meine Sonne"), Ein Symbol wie das Yin und Yang Zeichen hat Anker zum Abstrakten. 

Yin und Yang, altchinesisches Symbol des T’ai-chi Tú (Diagramm der höchsten Realität). Es besteht aus einem Kreis mit zwei aneinandergeschmiegten schwarzen und weißen Elementen. Sie symbolisieren die beiden Urkräfte allen Seins. Die Aufteilung des Seins in die Kategorien Yin und Yang ist älter als die schriftlichen Aufzeichnungen aus China. Schon frühe Kultgegenstände zeigen die „Symbolik der Polarität und des Wechsels”. Yang repräsentiert das männliche Prinzip und steht für: hell, stark, schöpferisch, fest, oben (Himmel), Bewegung, klar und rational. Yin ist das weibliche Prinzip und entspricht den Qualitäten: dunkel, schwach, ruhig-kontemplativ, nachgiebig, unten (Erde), Ruhe, kompliziert-intuitiv. Männlich und weiblich, Tag und Nacht sind keine absoluten Gegensätze, vielmehr enthalten beide den Kern des jeweils anderen in sich. Daher enthält die schwarze Fläche des T’ai-chi-Tú-Symbols einen kleinen weißen Kern und die weiße umgekehrt einen schwarzen.


Gegenstand der Pragmatik


Zeichen sind für die zwischenmenschliche Kommunikation geschaffen, und haben deswegen immer einen kommunikativen Zweck. Informationen sollen ausgetauscht, Handlungen sollen initiiert werden. Über die Antwort - sei diese sprachlich oder eine Handlung - erfährt der Sender, ob seine Nachricht ihren Zweck erreicht hat. Die Kommunikationstheorie nennt dies Rückkopplung bzw. Feed-back. Wichtig bei diesem Feed-back ist, dass im optimalen Fall der Empfänger sich in seiner Antwort nur auf das bezieht, was der Sender als Botschaft vermittelt hat, Je mehr sich die Antwort von dem entfernt, was der Sender damit erreichen wollte, desto unklarer war seine Botschaft, und der Sender hat dann als Feed-back, dass er seine Botschaft neu formulieren muss, damit sie dann möglichst optimal die gewünschte Antwort erfährt. Bei einem Kommunikationsprozess allerdings ist es nicht erwünscht, dass der Empfänger nur das antwortet, was der Sender wissen wollte, dann käme nämlich kein Gespräch zustande. Der Empfänger selbst hat eigene Meinungen zu dem, was der Sender mitgeteilt hat, und antwortet mit Anteilen seiner eigenen Vorstellungswelt, wird also in diesem Bereich zum Sender, und der erste Sender wird zum Empfänger. Dann kann dieses Spiel sich immer weiterdrehen und wir haben eine Diskussion. Insofern hat Kommunikation fast immer auch etwas mit Lernen zu tun

Bei einem Kunstgegenstand ist das offensichtlich schwieriger. Was soll durch ein Bild erreicht werden? "was will der Künstler uns damit sagen?" Was wird von uns erwartet? Da gibt es die verschiedensten Möglichkeiten. Der Künstler kann möglicherweise gar keinen Empfänger im eigentlichen Sinn vor Augen haben, er macht einfach Dinge um "sich selbst etwas klar zu machen". Bei einem Selbstgespräch ist der Empfänger gleichzeitig Sender und umgekehrt. Dann ist der, der das Bild sich später anschaut eigentlich nur der stille Teilhaber an dem Gedankenprozess, den der Künstler vor ihm ausbreitet. 

Kunst kann dadurch entstehen, dass der Künstler etwas im Auftrag von jemand anderem macht. Dann ist eigentlich der Künstler der Empfänger einer Botschaft des Auftraggebers, seine Handlung (also das fertige Bild) soll so sein, dass der Auftraggeber damit zufrieden ist und sicherlich wird er wollen, dass auch Anteile vom Gedankengut des Künstlers in das Bild einfließen, dann ist das so, wie bei der oben beschriebenen Diskussion. Das Ergebnis dieses Prozesses erscheint dann eher als die Aussage des ehemaligen Auftraggebers, auch wenn der Künstler für die wahrnehmbare Gestalt verantwortlich zeichnet. Bei Auftragskunst müsste man immer auch als Sender der Auftraggeber mitsehen, erst dann bekommt man ein Bild dessen, was das Bild möglicherweise soll. Denken wir an die christliche Kunst: hier soll ganz unabhängig von den Glaubenshintergründen des Künstlers, das fertige Werk im Sinn der Kirche wirksam werden. Im Prinzip ist das so bei jeder Auftragskunst, Es ist nur schwieriger herauszubekommen, was denn der "Auftrag" ist, wenn der Auftraggeber z.B. eine Bank, ein großes Unternehmen, eine Stadtgemeinde ist. Hier denkt man, die wollen nur "Kunst", das muss aber gar nicht so sein...

Ein anderer Fall ist der, dass der Künstler tatsächlich dem Publikum - dem Empfänger - etwas sagen möchte. Er will ihn z.B. "unterhalten", will ihm etwas "Schönes" zur Verfügung stellen - was gut über das Sofa passt -. Oder: Er will seine eigene Person in den Vordergrund stellen, will zeigen, beweisen, was er alles kann. Dann will er bewundert werden, anerkannt werden von der Gesellschaft, oder wenigstens vom Kunstmarkt. Oder das Gegenteil ist der Fall, er ist der Meinung, dass Kunst, die Anerkennung findet, keine Kunst sein kann. Er brüskiert, will vielleicht dem Publikum die eigene Dummheit vorhalten (das "épater le bourgeois" der Dadaisten.., Happenings, die das Publikum beschimpfen...). Oder der Künstler will das Augenmerk lenken auf etwas, will für etwas eintreten, z.B. für die Umweltproblematik, für den Sozialismus, für den Frieden. Er will dass die Menschen seine Botschaft wahr- und ernstnehmen, will aufrütteln, will Engagement herausfordern. In diesem Fall ist es wirklich die Sender-Empfänger Situation wie oben beschrieben, in ihren ganzen unterschiedlichen Möglichkeiten.


Wirkungen

Wenn Zeichenzusammenhänge den Empfänger informieren wollen, wenn Aussagen vermittelt werden, die wertneutral Wissen und Kenntnisse nahe bringen, dann haben wir es mit indikativen Zeichen zu tun. Prozesse, die Lernen und Erkennen anstreben, sollten diese Wirkungsweise haben, um dem Lernenden ein hohes Maß eigener Orientierung in dem Lernzusammenhang zu ermöglichen. 

Wird der Wille des Empfängers durch die Nachricht beeinflusst, spricht man von der imperativen Wirkung des Zeichenzusammenhanges. Der Empfänger "soll", "muss", etwas in einer bestimmten Weise überlegen oder tun. 

Soll das Gefühl angesprochen werden, also konnotative Ebenen der Bedeutung, dann spricht man von einer suggestiven Wirkung. Der Empfänger soll lachen, weinen, traurig, nachdenklich etc. werden (Diese Ebene wird meisterhaft in der heutigen Werbebranche angewandt, natürlich um dann imperativ zu wirken: "kauf, oder stirb"). Aber auch Feste wie z.B. Weihnachten, sind suggestive Zeichenzusammenhänge. 

Zeichenzusammenhänge, die aus welchen Gründen auch immer den Empfänger in seinem bisherigen Verhalten und Denken bestätigen, sind affirmative Zeichen. Wertvorstellungen, die gesellschaftlich nützlich sind sollen erhalten werden, Voreinstellungen und Vorurteile sollen gefestigt werden. Musikgruppen z.B. leben von dieser Möglichkeit, allerdings über das ganze Spektrum verteilt von linksradikal bis hin zum schlafmützigen Einheitsbrei der Schlagerfestivals. Affirmative Wirkungen haben eine deutliche Nähe zu suggestiven Zeichenzusammenhängen, wollen aber Gefühle erhalten und verstärken und nicht beeinflussen. (Ein sehr gutes Beispiel ist auch die "Bild-Zeitung" und die ganze mediale Entwicklung in Fernsehen und Radio, wo die Programmauswahl danach geht "was wollen die Leute sehen und hören"...)

Emanzipative Wirkungen gehen von Zeichenzusammenhängen aus, die den Empfänger in neuer Weise orientieren helfen, die Psychotherapie gehört hierher ebenso wie Selbsterfahrungsgruppen, vielleicht auch religiöse Rituale wie Abendmahl oder Initiationsriten. Im Bild sind solche Zeichen als indexalische Zeichentendenz wahrnehmbar, da wo der Betrachter aufgefordert wird auf Grund seines bisherigen Wissens, dieses zu überprüfen, und möglicherweise neue Schlüsse zu ziehen.


Weitere Überlegungen

Die Zeichenkritische Theorie setzt an die Stelle der Rückkopplung und des Feed-back die Formulierung "kulturelles Netz", oder O'''' ("O vier Strich"). Damit ist nicht die Aktivität des Empfängers gemeint, der auf die Botschaft hin in irgendeiner Weise handelt, sondern das kulturelle Netz ist ein Begriff für die Selbstreferentialität der Zeichen. Auf der O''-Ebene werden Einsichten in die Zusammenhänge der Natur und des menschlichen Lebens formuliert. Diese Formulierungen sind als Sprache zugänglich und werden im Kontext von Sprache und eigener Erfahrung mit dem denotierten Sachverhalt verstanden. Diese Aussagen über Realität verdichten sich zu einem gesellschaftlichen Bild von Wirklichkeit, einem Gesamtmodell, welches Wirklichkeit abbildet oder repräsentiert. Dieses System von Sätzen und Formulierungen ist der gesellschaftliche "Diskurs". Dieser Diskurs beginnt ein Eigenleben zu führen, er ist ja in sich stimmig und die Überprüfung an der Realität wird erst dann wichtig, wenn dieser Diskurs offenkundige Mängel aufzuweisen beginnt, d.h., wenn er die Realität nicht mehr abzubilden in der Lage ist, und sogar der Blödeste dieses kapiert. Es kommt zum Aufbau eines neuen Diskurses, der die Wirklichkeit wieder "in den Griff bekommt", man kann diesen Vorgang "Paradigmenwechsel" nennen. 

Die Zeichenkritische Theorie bezeichnet diesen gesellschaftliche Konsens, der sich als tragfähig erwiesen hat, Realität vermeintlich adäquat abzubilden, als "kulturelles Netz". Das kulturelle Netz bezieht sich folglich nicht auf die Realität selbst, sondern es bezieht sich auf das sprachliche Gebäude, welches Realität abbilden soll. Das kulturelle Netzt als sprachliches System ist deswegen selbstreferentiell auf die eigenen sprachlichen Strukturen bezogen. das Feed-back" besteht darin, dass sich das kulturelle Netz selbst bestätigt, weil es ja sprachlich "logisch" ist. Das 'Zitat' ist eine dieser selbstreferentiellen Formulierungen: auf Grund der Tatsache, dass ein anderer Mensch diesen Gedanken formuliert hat, kann ich ihn einfach übernehmen, weil er mir in "den Kram passt"... Auch ist letztlich eine klassische "Auswirkung" im Kommunikationsschema, also die Rückkopplung oder die Antwort eine Aktivität auf der Ebene des kulturellen Netzes: Man überlegt sich nicht die Zusammenhänge mit der Realität, sondern man agiert direkt bezogen auf die Formulierungen und Regeln, "gehorcht", "folgt", "spielt mit"... Würde man sich die Zusammenhänge mit der Realität bewusst vor Augen führen, würde man vielleicht anders als im Sinne des Senders agieren, man wäre dann eben auf der O'''''-Ebene ("O-fünf-Strich-Ebene"). 

Die O'''''-Ebene ist kommunikationstheoretisch die Antwort als Kritik: man antwortet auf das, was der andere gesagt hat mit seiner eigenen Erfahrung bezüglich des Sachverhaltes, kommt möglicherweise dann auch zu anderen Ergebnissen, und es kommt dann entweder zum Streit oder zu einer Diskussion. Als Aussageebene kann diese Ebene mit Macht versehen sein, der Mächtige wird diese Kritik am Verständnissystem des Rezipienten ausüben, bis dieser "willfährig" die Interpretationsmuster des Mächtigeren übernimmt. Dies ist gemeinhin das Feld der Erziehung und der Gehirnwäsche. Man gibt die eigenen Positionen zugunsten der des anderen auf. 

Als O''' '''-Ebene wird die Möglichkeit des Handelns beschrieben, die auf eine völlige Souveränität hinausläuft, kein Diskurs, keine Anweisung kann die Handlungsfähigkeit des Empfängers (und gleichzeitig Senders) lenken, er organisiert autonom seine Handlungsabläufe im Einklang mit der Realität. Eine O''' '''-Aussage kann den Menschen auf diese Autonomie hinweisen, ihm helfen, diese zu erlangen, im aversiven Fall ist die Aktivität des Senders geeignet, den Empfänger "hörig" zu machen. Er hat seine eigene Identität, die er einmal besessen hatte abgelegt und folgt nun dem Ruf des "Führers". Wir kennen dieses Phänomen eben aus dem dritten Reich, aber ebenso aus den Beispielen von Sekten.