zurück   Zur Frage der geschlossenen und offenen Syntax


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Wir haben unterschieden zwischen einer geschlossenen und einer offenen Syntax. Wir wollen zuerst die Besonderheiten der geschlossenen, also einer bestimmten Regeln unterworfenen Syntax untersuchen.

Wenn Zeichenzusammenhänge als kulturelle Sprachsysteme dienen sollen, muss der Zeichenzusammenhang in einer bestimmten Anordnung (:-)) in Erscheinung treten, damit er als bestimmbares (Super-)Zeichen funktioniert; dies gilt ebenso für den Gesamtzusammenhang der Zeichen, also z.B. für ein Bild.

Damit ein Gebilde zum Zeichen für "etwas" werden kann, muss es also in seiner Syntax in einer bestimmten Grundstruktur in Erscheinung treten. Diese Grundstruktur ist in einem bestimmten Rahmen variabel, z.B. kann ein 'A' in vielfacher Form geschrieben sein und es ist in diesen Grenzen immer noch als 'A' erkennbar. Bei Menzels "Eisenwalzwerk" ist die Syntax mitbestimmt durch die Sicht des Künstlers auf das tatsächliche Zusammenwirken der unterschiedlichen Aktionen.

Die Bestimmung dieses "Rahmens" weist zwei Parameter auf, innerhalb derer sich das Zeichen bewegen kann: Zum einen ist das Zeichen eine ikonische Analogie in Bezug auf eine externe Wirklichkeit, zum anderen ist es einer konventionellen und damit kulturellen Festlegung unterworfen, also einer 'Definition'. 

Zu diesen beiden Parametern kommt noch hinzu, dass das Zeichen von den Vorstellungen des Produzenten bestimmt ist und damit dessen persönlicher Formulierung unterzogen ist. Das heißt, auf der Aussageebene O' verweist das Zeichen auf die Person des Produzenten und kann somit gleichermaßen als Anzeichen für dessen individuelle Besonderheiten in Erscheinung treten.

Außerhalb dieses Rahmens ist es nicht mehr als Zeichen für ein bestimmbares "etwas" anzusehen. (Das war z.B. der Bruch mit der Landschaftsmalerei bei Kandinsky, als er zur abstrakten Malerei kam).

Das Indexalische hat seine (geschlossene) Logik auch in einem "Abbildungscharakter" - eine Landkarte muss den tatsächlichen Zusammenhängen entsprechen, welche selbst aber beliebig sein können. Eine sprachsymbolisch motivierte Syntax folgt den Regeln der "Ästhetik", welche eine jeweilige Kultur als ihr Regelwerk entwickelt hat, und eine individualsymbolisch motivierte Syntax folgt den ganz und gar beliebigen, aber dennoch "typischen" Kriterien, die ein Individuum für sich zum Markenzeichen gemacht hat (z.B. Baselitz).  

Die geschlossene Syntax ist damit in dreierlei Hinsicht abhängig: sie ist abhängig von dem Bezeichneten (also der Sigmatik, bzw. der Ikonizität unter ihrem Aspekt einer O-Aussage), zum anderen ist sie abhängig von konventionellen Codes bzw. Regeln (also der Sprachsymbolik unter ihrem Aspekt O''), und  außerdem hat sie eine direkte Abhängigkeit in Bezug auf die indexalische Funktion, da sie auf den Entstehungszusammenhang und damit auch auf die Person des Produzenten verweist.

Diese dreifache Abhängigkeit kann für die Beschreibung der Syntax im Sinne der Zeichenkritischen Theorie zum Ausgangspunkt werden:

Konkretisiert man den Gedanken der Abhängigkeit auf der Ebene von O, dann ist die Syntax in einem Zusammenhang zu sehen mit der von mir so benannten 'motivlichen Syntax', die die Übereinstimmung (oder die Differenz) zwischen Gegenstandsbereich und den dort tatsächlich vorfindlichen Verhältnissen, so wie diese sich meiner Erfahrung nach darstellen, und der vom Produzenten gewählten syntaktischen Zuordnung wahrnehmbar und unterscheidbar macht. Die Beschreibung der Syntax unter diesem Aspekt nimmt die eigene Erfahrung mit syntaktischen Zusammenhängen einer Realität als Grundlage und stellt dem die bildnerische Syntax gegenüber.

Diese Wahrnehmungsweise ist schon aufs innigste verknüpft mit O', da die Vorstellung von Zusammenhängen der Realität und deren Übersetzung in Sprache der eigenen Interpretation Tor und Tür öffnen. Die Zuordnung zu O' bestimmt sich somit auf Grund der beschreibbaren Gesetzmäßigkeiten (Charakter, Stil, Persönlichkeit etc) und Besonderheiten, die sich auf die Sichtweise (als WvW) des Produzenten beziehen lassen. Diese eigene Sichtweise ist für die Konkretion der Syntax für den Autor in jedem Fall eine unbewusste oder auch bewusste Entscheidung, für den Betrachter ist dieses Feld häufig das spannendste, da es ja die persönliche (und daher nicht vorhersehbare) Formulierung des Autors gegenüber einem Sachverhalt zur Darstellung bringt.

Das bildnerische Material fordert ebenfalls syntaktische Entscheidungen auf der Ebene O''. Die "richtige" Anwendung von Techniken, die Verträglichkeit von Materialien, die zwingende Bestimmung des Bildes durch die bildnerischen Variablen, all dies sind Strukturen, die im Detail eine große Offenheit besitzen können, die aber als Grundgegebenheiten die syntaktischen Entscheidungen mitprägen. Z.B.: jedes Element, welches ich auf eine Fläche setze hat notwendigerweise bestimmbare Relationen zu den Seiten des Formats, hat einen klar beschreibbaren Kontrast zur Umgebung usw. Allerdings ist hier ein ganz anderes Feld syntaktischer Entscheidungen möglich, und im Zusammenhang mit Individualsymbolik auf der O'-Ebene ist hier der entscheidende Zugang zu einer offenen Syntax. Nicht von ungefähr hat deswegen die ungegenständliche Kunst sich auf dieses "formale" - also formulierende Terrain begeben. 

Eine Syntax, die O''' folgt ist dann geprägt von der Entscheidung nach Wirksamkeit. Auffälligkeiten, Ungewohntes, Überraschendes (das heute so beliebte und damit beliebig gewordene "Innovative" eines Künstlers), aber auch das "Geschmäcklerische", das sich dem Publikumsgeschmack anbiedernde ist hier Ausgangspunkt für syntaktische Überlegungen. Wie (fast) immer bei O''' steht hier die "Show" im Mittelpunkt.

Auf der Ebene von O'''' wird die Syntax dargestellt in ihrem Bezug zu einer bildsprachlichen Tradition (ein "konventionelles Bild" etc. deutet auf einen angepassten Umgang mit sprachlichen Normen). Diese kulturelle 'Definition' (die "Regeln") der Syntax taucht auf bei bestimmten Zuordnungsentscheidungen und Codes, bzw. kanonischen Abbildungsweisen. Beispiele: Bedeutungsperspektive, Fluchtpunktperspektive, kompositorischen Regeln, und allgemein Darstellungsweisen, die von der Sprachsymbolik abhängig sind, die geprägt sind vom Gedanken "Kunst lernt man von Kunst". D.h. hier kann der gesamte bildsprachliche Kontext inklusive Kunstkritik ( - und Kunstmarktmechanismen solange diese als Rezept für Erfolg in die Sprachsymbolik Eingang finden) befragt, und der konkreten Syntax des untersuchten Bildes gegenübergestellt werden.


Bei einer Text- bzw. Bildanalyse wird normalerweise das Gebiet der Syntax rein deskriptiv untersucht, ohne an mögliche dahinterliegende Gesetzmäßigkeiten und Bedingtheiten im Sinne der Aussageebenen von O bis O'''' (eventuell auch noch weiter) zu denken. Die Syntax wird als "wertfrei" dargestellt, d.h. es wird davon ausgegangen, dass sich von ihr keine Maßstäbe gewinnen ließen (außer "rein künstlerischen"), wie ein Bild zu "bewerten" sei. Dies ist als Ansatz sicher auch korrekt, nur lässt sich dann von der Syntax her auch nicht die spezifische Wirkung eines Artefakts beschreiben, die jedoch nur im Zusammenhang der Syntax beschreibbar sein kann, da sie eben als einziges Element ästhetisch wahrnehmbar ist und keiner Interpretation oder Deutung bedarf. So kommt es, dass ganz häufig bei Analysen die Syntax zwar beschrieben wird, dann aber voll in die Interpretationskiste gegriffen wird, wenn es darum geht, Aussagen über das Kunstwerk zu machen. Und mit der entsprechenden Fachautorität klingt das auch ganz "richtig". Die Syntax wird als Beweis für die Richtigkeit der Interpretation herangezogen, und nicht umgekehrt, von der Syntax her die Interpretation abgeleitet. 

Die zeichenkritische Theorie versucht dieses Problem im Zusammenhang der "Aussage- bzw. der Rezeptionsintention" zu lösen. Es werden also die syntaktischen Entscheidungen auf der Ebene der unterschiedlichen Wirklichkeits-, bzw. Aussageebenen untersucht, (also im Sinne eben der "motivlichen Syntax") und die auf Grund der Syntax sichtbar werdenden Zeichenaspekte als Äquivalente zu den Darstellungs- bzw. Rezeptionstendenzen. Und die Abstrakte Darstellungstendenz spielt in diesem Zusammenhang eine übergeordnete Rolle, wie ich eben in dieser ganzen Abhandlung über das Abstrakte darzustellen versuche. 


Die syntaktischen Entscheidungen folgen insgesamt dem Produktionsdreieck.

Syntaktische Entscheidungen werden gemäß der abgebildeten Wirklichkeit, gemäß der eigenen Position zu dieser Wirklichkeit und gemäß den Vorgaben getroffen, die die Eigengesetzlichkeit des Mediums auferlegt. Unter "Wirklichkeit" verstehe ich hier selbstverständlich alle relevanten Wirklichkeitsebenen (auch O''''). Gesetzmäßigkeiten des Motivs, der eigenen Person und der Sprache ergeben somit Inhalt und Stil einer Darstellung. Der Rezipient hat in der Regel direkten Zugang zu den Gesetzmäßigkeiten des Motivs und auch der Sprache, zumindest im passiven Sprachverständnis. Die Anteile, die der Autor selbst in die Arbeit einbringt, und die von dessen Positionierung zeugen, sind im heutigen Kunstverständnis mit die interessantesten. 

Auch der Künstler wird heute besonders darum bemüht sein, eigene syntaktische Entscheidungen sichtbar werden zu lassen, die dann seinen persönlichen gestalterischen Anteil an dem Bildzusammenhang sichtbar machen. Um allerdings dennoch auf einen fassbaren Gegenstandsbereich und/oder auf Rezeptionsgewohnheiten zu verweisen, muss die Syntax sich in einem kulturell beschreibbaren Rahmen bewegen.

Die Syntax steht für die Rezeption im Zentrum bildimmanenter analytischen Herangehensweise. Nur über die Syntax bekommt der Betrachter Informationen über das tatsächlich vorhandene Bild, was dann mit Zusatzwissen (indexalische Rezeptionstendenz) ergänzt werden kann. 

Für die Bildanalyse sind die eindeutig persönlichen Entscheidungen und Besonderheiten eines Produzenten besonders interessant, in ihnen liegen die Voraussetzungen für weitere analytische Untersuchungen, sowohl in Richtung auf die eigene subjektive Analyse als auch in Richtung auf eine Analyse der Intention des Produzenten, also des Künstlers.


Robert Mangold

Zur Frage der offenen Syntax

Die Abhängigkeit von der Position des Autors ist eine Determinante der Geschlossenheit aber ebenfalls auch eine für die der Offenheit. Man kann ja den Künstler auf Grund seiner ihm adäquaten Verwendung syntaktischer Merkmale wiedererkennen, gleichzeitig ist man aber auch nicht sicher, dass diese Merkmale konstant bleiben. Zu viele Beispiele existieren im Rahmen der Kunstgeschichte, wo die Künstler uns nicht den Gefallen tun ihren "Stil" beizubehalten. 

Wie oben entwickelt wurde besteht eine weitere Abhängigkeit der Syntax ganz allgemein im Zusammenhang mit dem Kanal, der als Zeichenträger benutzt wird, und der eine spezifische "Eigengesetzlichkeit" aufweist. Nur innerhalb dieser Eigengesetzlichkeit ist die Syntax zu realisieren. Ein Bild kann die Bildzeichen nur nebeneinander stellen, Ein Text das geschriebene Wort nur hintereinander. Die Syntax des Tanzes ist bedingt von der Schwerkraft, die der Musik vom Aufeinandertreffen verschiedener Klangeigenschaften. Selbstverständlich ist dies selbstverständlich, aber auch aufschlussreich für die Wahl des Mediums, und welcher "Denkraum" prinzipiell damit aussagbar ist. Gleichzeitig ist diese Abhängigkeit oder Gebundenheit auch eine Möglichkeit der Offenheit. Offen ist die Syntax deswegen, weil die bildnerische Sprache in ganz unterschiedliche Formen zum Ausdruck gebracht werden kann. Wenn die Verbindung zu den anderen Abhängigkeiten gekappt wird, kann die Eigengesetzlichkeit des Mediums seine ganze Autorität entfalten. Innerhalb der Möglichkeiten des Mediums ist alles möglich, weder Sache noch Macher interferieren. Offen ist diese Offenheit nur im Rahmen der syntaktischen Möglichkeiten des Mediums, diese geben aber immer wieder Anlass zu neuen Recherchen der Öffnung.

Hier ist in erster Linie das Feld des Ungegenständlichen, - logisch, da den Abhängigkeiten durch die Bindung an das Gegenständliche entzogen.

"Offen" ist also eine Aussage, die sich nicht auf die normale Erfahrung des Rezipienten reduzieren lässt. Diese "normale Erfahrung" ist immer an das wiedererkennbar Gegenständliche gebunden. 

Offenheit stellt sich also dar als einseitige Abhängigkeit entweder von der individuellen "Willkür", oder den gestalterischen Gesetzen (oder von beidem - aber eben ohne Abhängigkeit von der Ikonizität.)

Diese neue Offenheit hat aber auch ihre Grenzen: Unabhängigkeit von Ikonizität hat unweigerlich die Abhängigkeit vom Abstrakten zur Folge. Natürlich nicht ausschließlich: die anderen Zeichenaspekte haben auch ihre Rechte. Schauen wir auf den ästhetischen Zeichenaspekt, dann ist die Syntax abhängig von der Ausgewogenheit von visuellen Reizen, das Gestische ist abhängig von einer nachvollziehbaren Spur, das Tiefensymbolische natürlich von starken Empfindungen. Ikonizität, Individualsymbolik, Sprachsymbolik und Indexalität müssen hier nicht untersucht werden, da sie sowieso zu den geschlossenen Formen der Syntax gehören, wie oben dargestellt, bleibt dann also das Abstrakte. Hier pendelt man zwischen dem Beliebigen und dem Stimmigen. Das Beliebige bleibt letzen Endes unwirksam, auch wenn es möglicherweise ästhetische oder gestische Reize vermittelt, da es überflüssig, nur "zum sofortigen Verzehr" geeignet erscheint. Tiefensymbolisches wird ohne abstrakte Stimmigkeit ebenfalls schnell verbraucht sein, da es nur auf schnell intendierte Wirksamkeit aufbaut und keine Permanenz aufweist.

Bleibt also die Abhängigkeit vom Abstrakten - was zu beweisen war...

Die Offenheit ungegenständlicher Arbeit ist demnach an die Abstraktheit gebunden. Erst dann wird das Bild in seiner gestalterischen Offenheit auch überzeugen.

Erst über die Bindung an das Abstrakte kann eine Aussage - auch wenn sie vom Gegenständlichen her motiviert ist - eine Aussage sein, die uns letzten Endes berührt. 

So ist die allumfassende Abhängigkeit - eben in dem, was wir "offen" nennen, die Abhängigkeit von den abstrakten Wertigkeiten: Über das ikonische, das Individuelle, das medial Bedingte hinaus ist die höchste Abhängigkeit die, die vom Abstrakten her motiviert ist. 

Wenn wir so eine "syntaktische Untersuchung" anstellen, müssen wir die syntaktischen "Prämissen" der Eigengesetzlichkeit des Mediums, des damit verbundenen kulturellen Gebrauchs, den strukturellen Analogien bezüglich einer Dingwelt und den persönlichen Charakteristika eines Autors zwar immer mitbedenken, aber ohne den Bezug zum Abstrakten werden wir nicht die Essenz der Arbeit erfassen. Nur auf diesem Hintergrund führt eine syntaktische Darstellung des Zeichenzusammenhanges zu den entscheidenden semantischen Fragen.