Analogien zwischen bildnerischen Variablen und existentiellen Konstanten

Ich gehe von der Überlegung aus, dass die existentiellen Konstanten, zu denen der Mensch über die abstrakte Wahrnehmungstendenz ganz selbstverständlichen Zugang hat, sich in den Variablen der unterschiedlichen Sprachformen medial zum Ausdruck bringen. 

Ebenso wie die existentiellen Konstanten immer nur in einer konkreten Weise in Erscheinung treten, wie jede Sekunde des Lebens selbst eine einmalige Konkretion ist, die so nie wieder in Erscheinung treten wird, kann der abstrakte Zeichenaspekt nicht selbst dargestellt werden sondern immer nur in der Konkretion der Zeichenaspekte im Ganzen.

Gehen wir aber von den Variablen aus, also von dem Status, in dem diese noch nicht einer Konkretion unterliegen, kann man darstellen, was die Variablen grundsätzlich zu transportieren in der Lage sind.

Dies führt also zu folgender 

Problemstellung:

Welche (abstrakte) Wirklichkeitserfahrung wird in den der bildnerischen Variablen sichtbar?

Präzisierung der Fragestellung:

Welche existentiellen Konstanten im Umgang mit Wirklichkeit repräsentieren die abstrakten Elemente, die in den bildnerischen Variablen zum Ausdruck kommen?

Bei den folgenden Ausführungen werde ich nach einer bestimmten Weise vorgehen: 

Zuerst wird die bildnerische Variable in ihren grundsätzlichen Merkmalen dargestellt, dann werden Erfahrungen im Leben des Menschen beschrieben, die möglicherweise die Qualität von "existentiellen Konstanten" haben und es werden Analogien herausgearbeitet, die die bildnerische Variable als "abstraktes Ikon" für die herausgefunden Relationen erkennbar machen.

1. Situativer Kontext

Ausstellungssituation

Alles was als Identität in Erscheinung tritt, unterscheidet sich von dem, was um es herum ist. Nur in der Unterscheidung zu dem Umfeld kann eine Identität erkannt werden. Dieses Umfeld ist der situative Kontext. Der situative Kontext kann sich schnell oder auch langsam verändern, da jedoch der situative Kontext auch immer von der Rezeption, also vom "erkennen" her bestimmt wird, ist dieser Kontext auch an die Dauer der Rezeption gebunden. 

Ein Bild hängt möglicherweise jahrzehnte lang im Museum, immer an der gleichen  Stelle, immer im Kontext mit den gleichen anderen Bildern. Als Betrachter erlebe ich zwar diesen bestimmten Kontext als immer gleich, aber dennoch ist der Gesamtkontext veränderlich, die Anzahl der Besucher, die sonst noch das Bild sehen wollen, meine eigene Befindlichkeit, das spezielle Interesse, mit dem ich das Bild ansehe, die Jahreszeit usw. 

Hinter dieser Wahrnehmung steht die existentielle Konstante der eigenen Identitätserfahrung, und der jeweilige Bezug, den ich zu meinem situativen Umfeld habe. Harmonie, Disharmonie, Dauer und Relation sind wesentliche Komponenten dieser Wahrnehmung.

Ich erlebe ein Bild immer in einem bestimmten Kontext, oftmals wird dieser Kontext völlig ausgeklammert beim Betrachten des Bildes, auch wenn er natürlich selbstverständlich zugeordnet wird. Es handelt sich bei der Begegnung mit dem Artefakt in seinem Kontext auch darum, dass ich mich selbst im selben Kontext befinde, dadurch gibt es eine gewisse Affinität, die das Interesse ("dazwischen sein") bestimmt. "Ich will mich dem interessanten Gegenstand widmen".

1.1.Ort

Brandenburger Tor, Berlin

Das Bild (oder das Kunstwerk - hier die Reitergruppe des Brandenburger Tors) befindet sich an einem bestimmten Ort. Wenn es der richtige Ort ist, kann das Bild dort seine volle Intensität entfalten. 

Man kennt die Formulierung "sich am richtigen Platz befinden", oder auch "fehl am Platz" sein. Man muss sich seine "Position erst erobern", oder seinen "Ort bestimmen".  

Den richtigen Ort für ein Bild finden. "Das Bild gehört an diese Wand". Dort einen Nagel einschlagen. Wissen, wo man hingehört, wo man seinen Platz hat. 

2. Dimension

Briefmarke

Jedes endliche Element hat eine Dimension. Wenn wir als Menschen uns Objekten gegenübersehen, dann gibt es für die Relativität der Dimension mindestens zwei Vergleichswerte: einmal den Bekanntheitsgrad ("das ist immer so groß...") und dann noch das menschliche Maß. Bilder sind in der Regel bezogen auf menschliches Maß. Die eigene Körpergröße ist Parameter für ein Bild mit "normaler Dimension" bzw. es wird von daher als klein oder groß erlebt. Bilder, die sowieso immer groß oder klein sind (Wandbilder, Kinoleinwand, Briefmarken) haben von dort her ihre "normale" Dimension. 

"Monumentale" Kunstwerke machen immer einen imponierenden Eindruck,  sind ehrfurchtseinflößend. Ganz kleine Kunstwerke sind "süß", preziös, filigran usw. Sie werden als Kostbarkeit verwahrt - sind auch nicht diebstahlssicher... Das Kleine weckt unsere besondere Sympathie.

Das Große kennen wir durch Kindheitserinnerungen: in der Straßenbahn stehen und überall nur Beine sehen, man ist klein und blöd aber auch wendig... und das Kleine ist etwas wertvolles, ein Schatz, die Muschel am Strand. 

2.1.Format

Recker, Studie aus Prag, 1997

Die üblichste Form des Bildträgers ist das Rechteck oder als Sonderfall das Quadrat. Die Formatränder bilden die Grenze, die dieses Format vor dem Hintergrund der sonstigen Dinge abhebt. Diese Grenze lässt das Format als die "Figur" in Erscheinung treten (Passepartout und Rahmen verstärken diesen Eindruck). Das Format birgt in sich bereits eine Menge von Relationen: Höhe zu Breite, die Diagonalen und deren Bezug zueinander, Das Zentrum und die Randbereiche. Das Format ist ein bildnerisches Element, welches absolut zwingend ist: man kann nicht aus dem Format heraus, es sei denn man verlässt die materielle Ebene. Das Format ist die Fläche, die man für seine Arbeit gewählt hat, es ist der momentane Handlungsspielraum. Über die inhärenten Formatbezüge (senkrecht-waagrecht, Diagonalen) weist das Format aber auch über sich hinaus, verweist auf den dazugehörigen Kontext.

Nach diesen Betrachtungen  kann man das Format verstehen als die Weite unseres Lebensraumes und es erscheint gleichbedeutend auch mit dar Begrenzung des Lebensraumes. Das Format ist die Abstraktion der tatsächlich vollziehbaren Möglichkeiten in unserem gegenwärtigen Leben. 

Als solches ist der ideelle Mittelpunkt der Ausgangspunkt dieser "Feldbeschreibung", er ist sozusagen unser Standpunkt ehe es zur Beschreibung der Fläche losgeht. Ist die Fläche die Abstraktion unseres realen Lebensraumes, also von dem, was wir draußen vorfinden, so ist der ideelle Mittelpunkt die Abstraktion unseres Standpunktes innerhalb dieser Fläche, er ist also die Abstraktion unserer Position. Von diesem Punkt aus können wir uns in alle Richtungen entwickeln, bis wir an die Grenzen des Formats stoßen.

Von dem gedachten Bild dieses sich vom Mittelpunkt aus in alle Richtungen Sich-Bewegens, kommen wir zum Kreis, in dessen Mittelpunkt sich der Bildmittelpunkt befindet.

Beim Rechteck gibt es zwei mögliche Kreise, die reale Punkte auf den Begrenzungslinien des Formats haben: ein kleinerer Kreis der sich ganz im Format befindet und der andere dessen Begrenzungen über das Format hinausgehen. Über diese Kreisformen ist die Möglichkeit gegeben, sich sowohl innerhalb dieses Formats und den damit gegebenen Begrenzungen aufzuhalten oder sich über diese Begrenzungen zumindest ideell hinaus zu bewegen. 

Dieser größere Kreis ist so die Abstraktion der Möglichkeit, über unsere tatsächlich realisierbaren Möglichkeiten hinaus zu denken. Beim Quadrat ist dies nicht der Fall, da decken sich die beiden Kreise. Das Quadrat ist somit wesentlich ruhiger, "in sich geschlossener", als ein Rechteck. Je ausgeprägter sich das Rechteck vom Quadrat unterscheidet, um so deutlicher wird auch für die Wahrnehmung das Umfeld des Formats.

3. Spur

Mein Atelier

Jede Spur setzt sich zusammen aus der eingreifenden Handlung als Anwendung einer Technik (die sich in der Regel aus dem Gebrauch von Werkzeugen und unterschiedlichen Gestaltungsmaterialien zusammensetzt) des eine Spur intendierenden Menschen. Jede Spur ist als materiell verbleibendes Eingegriffen-Haben des Menschen in natürliche materielle Zusammenhänge zu erkennen. Diese drei Bestandteile der Spur sind immer vorhanden. 

Beim Bild nennen wir die materiellen Zusammenhänge das Trägermaterial. Es kann der Sand sein, auf dem man mit den Füssen oder einem Stock Spuren hinterlässt, oder die Leinwand, die man bemalt.  

Die endlos vielen Werkzeuge und Gestaltungsmaterialien, die denkbar sind, fassen wir zusammen unter dem Begriff der Technik. Jede Technik hat ihre eigenen unverwechselbaren Charaktere und Ausdrucksformen. In der Musik könnte man das vielleicht vergleichen mit der Qualität der unterschiedlichen Instrumente. Auf Grund der Fülle unterschiedlicher Qualitäten haben wir hier den Begriff der "technischen Variablen" eingeführt. Die technischen Variablen sind ebenfalls in der Lage, existentielle Konstante zu transportieren. Dabei ist eine Technik ein bestimmtes Zusammenwirken verschiedener bildnerischer Variablen, die in dieser besonderen Weise eben nur in einer bestimmten Technik in Erscheinung tritt. (Linoldruck z.B.: normalerweise ein deutlicher Hell-Dunkel Kontrast, stark vom Flächigen her bestimmt, Flächen eher wenig modifiziert, präzise Umrisse.)

Jede menschliche Tätigkeit hinterlässt Spuren, dass etwas "spurlos verschwindet" hat eher etwas mit Zauberei zu tun. Um einen Gedanken zu transportieren muss ich immer etwas formen, beim Sprechakt ist dies einem am wenigsten bewusst, aber dennoch als Zusammenspiel von Atem, Mund und Luft ein hochkomplexer materieller Vorgang. Bei den Vorbemerkungen zur Abstraktion und Ikonizität (siehe Link oben im Bannerfeld "zurück zu abstrakt") habe ich die drei "Aggregatzustände" des Wesens formuliert: Das Wesentliche der Gestalt, die zeitlich begrenzte Modifikation der Erscheinungsweise durch innere und äußere Einflüsse und die dauerhafte Veränderung der Gestalt durch Außeneinwirkung. 

Wobei hier das "Wesentliche der Gestalt" in Form des Trägermaterials in Erscheinung tritt (oder auch nicht, wenn es wie z.B. beim Ölbild gänzlich übermalt wird), welches durch die Handlung des Menschen und den Einsatz einer Technik dauerhaft verändert oder zeitlich begrenzt modifiziert wird. 

Spur kann somit aufgefasst werden als Abbildung der Tatsache, dass menschliche Sprache immer an ein materielles System gekoppelt ist. Es gibt keine immaterielle Sprachform. Sprache muss also immer die tatsächlichen materiellen Gegebenheiten als Grundlage darstellen (Trägermaterial). Ebenso ist das Gestaltungsmaterial nicht der "Machbarkeit" des Menschen unterzogen, der Mensch kann lediglich die Eigenschaften der Materialien anwenden und mit Werkzeugen bearbeiten. (Die kann man selbstverständlich auch auf "künstliche Stoffe, wie synthetische Pigmente oder Kunststoffe etc ausdehnen: Die Herstellung eines solchen Stoffes ist selbst schon wieder eine "Spur", da auch hier zielstrebiges Handeln mit Werkzeug und Gestaltungsmaterial, was wiederum die Natur vorgibt gearbeitet werden muss, um das Ergebnis zu erreichen.) 

3.1. Trägermaterial

grundierte Leinwand

Das Trägermaterial ist Grundbedingung für jede Spursetzung. Das Trägermaterial ist immer etwas tatsächlich Vorhandenes, der Illusionsraum des Bildes kann dieses zwar für die bewusste Wahrnehmung völlig unsichtbar machen, aber es ist in jedem Fall die materielle Basis für das Bild. Die materiellen Eigenschaften des Trägermaterials sind für die Realisierung der Spur von ausschlaggebender Bedeutung. Das Trägermaterial ist Träger der Bildinformation. Traditionelle Trägermaterialien sind: Leinwand, Papier, Holz, eine Wand, etc. Jedes Trägermaterial hat seine spezifischen Eigenschaften: Es nimmt das Gestaltungsmaterial unterschiedlich gut oder schlecht an, saugt es auch manchmal auf. Das Trägermaterial hat eine bestimmte Reaktion in Bezug auf Witterung und Lichteinwirkung, es vergilbt, löst sich auf, verdirbt, verändert auf Grund seiner Beschaffenheit selbst wieder die chemische Struktur des Gestaltungsmaterials (z.B. säurehaltiges Papier). Das Trägermaterial kann vom Gestaltungsmaterial restlos verdeckt werden, es kann ganz oder partiell frei bleiben oder in seiner Struktur durch das aufliegende Gestaltungsmaterial hindurch sichtbar bleiben (Aquarellbütten, Leinwandstruktur, Japanpapier etc...). Im Falle des Freibleibens oder Sichtbarbleibens des Trägermaterials behält es seine oder entwickelt es eine selbständige Ausdrucksqualität.

Äquivalent zu den existentiellen Konstanten ist das Trägermaterial insofern, als es die Tatsache repräsentiert, dass der menschliche Körper an die Oberfläche der Erde gebunden ist. Jede Bewegung geschieht in Bezug zur Erdoberfläche, also zum Trägermaterial menschlicher Aktivität. Es ist der Erdboden, der einen trägt, und der Grundlage für alles Leben und alles Tun des Menschen ist. Land(besitz) ist der zentrale Ort menschlicher Kultur, kein Haus, keine Straße ohne Grund und Boden. Als korrespondierende Erfahrung gibt es den "tragenden Grund", (der Teppich, der einem unter den Füßen weggezogen werden kann...). Menschliche Aktivitäten können nur "auf dem Boden bestehender Verhältnisse" erfolgen, die der "Nährboden" sind, auf dem sie sich entfalten können. Im übertragenen Sinn sind die Grundlagen einer Situation die Rahmenbedingungen, auf denen die Situation sich abspielt, sich entwickeln kann. Der Grund ist die "Ursache". 

Das Trägermaterial spielt bei der Wahrnehmung eines Kunstwerks meistens keine Rolle. Aber es kann das ästhetische Empfinden wesentlich steigern. Und es macht aus einem Bild häufig auch etwas wertvolles. "Handgeschöpftes Bütten!!!"

3.2. Gestaltungsmaterial

Gestaltungsmaterial

Als konkretisierte Spur erscheint in der Regel nach einem Eingriff auf einem Trägermaterial die Ablagerung eines bestimmten Materials. 

Bewegung von Masse ist physikalische Grundlage von Handlung. Diese Masse kann die eigene sein (z.B. bei der Ohrfeige), oder die Masse, die ich bewege, ist etwas außerhalb von mir. Handlung ist immer Eingriff in die "normalen" Abläufe, und immer bezogen auf O. Jedes Produkt einer Handlung ist ein O". Jede Handlung ist, auf ein "Draußen" bezogen, und muss sich deswegen der Materialien bedienen, die die Natur gibt (selbst "Kunst"-Stoff wäre, ohne die Gesetzmäßigkeiten von natürlichen Prozessen nicht herstellbar, der Mensch kann die Möglichkeiten, die in den Naturkräften liegen entdecken und diese dann anwenden). Durch diesen Umgang und die Kenntnis der Eigenschaften der Materialien, mit denen wir in Berührung kommen, erfahren wir die Qualitäten dieser Materialien. Als existentielle Konstante haben wir ein Bewusstsein von Materialqualität. 

Die Erfahrung mit Gegenständen, Materialien, Materialeigenschaften etc., gibt uns bei der Betrachtung eines Bildes eine Vorstellung und ein empfindungsorientiertes Wissen um die im Bild zur Anschauung kommenden Qualitäten der Materialien. Insbesondere Oberflächenstruktur, Glanz, Dichte, Reflexionseigenschaften, Transparenz sind Merkmale, die der Betrachter als Materialqualitäten mit Erfahrungswerten verbinden kann. 

3.3. Werkzeug:

Werkzeug

Das Gestaltungsmaterial muss in irgendeiner Weise auf das Trägermaterial aufgebracht werden. Dazu bedarf es immer eines Werkzeugs. Das Werkzeug ist für die Art der Spur wesentlich, es selbst gehört aber nicht zum materiellen Aspekt der konkretisierten Spur. Das Werkzeug kann der Mensch selbst sein (die Hand), oder ein Werkzeug, das die Möglichkeiten der Hand erweitert. Unter Ausschluss eines Gestaltungsmaterials kann das Werkzeug auch direkt Spuren auf dem Trägermaterial hinterlassen (Steinbildhauerei, Fontana, etc.,). Dann ist das Trägermaterial gleichzeitig Gestaltungsmaterial.

Jedes Werkzeug ist prinzipiell die Verbindung von geistigen Prozessen und einer Handlung. Jedem Werkzeug ist inhärent der Zweck, die Funktion. Damit hat es immer einen geistigen Anteil (Der Hammer, den der Astronaut bei der Reparatur seines Raumschiffes verloren hat, ist kein Hammer mehr, selbst wenn er noch die Form des Hammers hat). Das Werkzeug selbst gibt Aufschluss über geistige und geistesgeschichtliche Prozesse, z.B. der Pflug im Heimatmuseum, die Werkzeuge, die der Mensch benutzt, bzw. deren Gebrauch er erlernt hat, lassen den Mensch Umgangserfahrungen mit Wirklichkeit machen, und prägen somit auch sein Weltbild. Die Benutzung eines Werkzeugs bedeutet Eingriffs- und Handlungsmöglichkeit.

Das Werkzeug zeigt die Möglichkeit des Menschen auf, die Form der Materie so zu verändern, dass dadurch Geräte entstehen, die für bestimmte Zwecke anwendbar sind. Auch hier lassen sich nur die Eigenschaften der Materie anwenden. Dadurch ist die Faktur das Bindeglied zwischen der äußeren "Natur" und der geistigen Verarbeitung dieser "Natur" durch die Möglichkeiten des Gehirns. "Die Mache" ist somit nichts neu hergestelltes, sondern ist die Abbildung dieser menschlichen Fähigkeit, Äußeres in sich aufzunehmen und durch die Verarbeitung des Geistes wieder herzugeben.

3.4. Faktur:

Situation aus einem Kurs

Die Faktur ist die Art und Weise, wie das Werkzeug und das Gestaltungsmaterial (Technik) benutzt wird. Die Faktur unterliegt der Motorik und der Emotionalität des Menschen. Damit unterliegt die Faktur ebenfalls den psychischen Komponenten, die die Motorik steuern.

Ist die Faktur sichtbar, insbesondere die psychischen Komponenten, spricht man von Gestus (von lat. "handeln"), die dabei sichtbar werdende Führung des Werkzeuges ist der Duktus (von lat. "führen"). 

Wird der Prozess betont (chemisch/biologische Prozesse, oder auch die Filmdokumentation über die Herstellung von Bildern im Atelier kann man von Verwirklichung sprechen. 

Die Faktur kann auch oder soll weitgehend unsichtbar bleiben, Techniken wie Spritzpistole (Airbrush), Lasurtechniken bei der Öl- und Acrylmalerei, aber auch die Fotografie sind Beispiele dafür. Mangels eines besseren Begriffes (?) schlage ich hier "Fakturlosigkeit" vor. Hier gehört auch das ganze weite Feld der Reproduktionen hin, auch wenn manchmal mit raffinierten Drucktechniken eine Faktur vorgetäuscht wird, haben wir es hier mit Fakturlosigkeit zu tun. Bei manuellen Drucktechniken ist das anders, hier kann zumindest der Fachmann den persönlichen Eingriff des Künstlers oder des Druckers erkennen.

 

Die "Fakturlosigkeit" zeigt die Bedeutung der Faktur auf: Die "Mache" verweist immer auch auf die Situation, in der etwas gemacht wurde. Die Faktur verweist auf Zeit und Vergangenheit, aber auch auf die Befindlichkeit des Autors, auf seine Person. Insofern vermittelt die Faktur auch etwas von der Situation und der Vergangenheit der Entstehung der Spur und Gegenwart der Wahrnehmung. 

Diese Zusammenhänge werden als "Aura" erlebt. Die Aura verweist auf die direkte Verbindung zwischen Entstehungssituation und Betrachter. Das Bild von Rembrandt, vor dem wir jetzt gerade (virtuell) stehen, hat Rembrandt tatsächlich gemalt, alles was man daran sieht (abgesehen von den Eingriffen der Restauratoren...) ist von ihm. Es ist wie eine Urkunde. Wie "Brief und Siegel". Bei der Reproduktion, bei der Fakturlosigkeit ist tatsächlich die Aura verschwunden.